: Werder-Nachbarschaftshilfe
■ Werder versagt beim Nordderby/ Von Gastautor Ralf Lorenzen
Als letzter verließ Harvard Flo den Platz. Noch minutenlang nach dem Abpfiff starrte er aufs leere Spielfeld. Wiedereinmal war die Chance vertan worden, in die Liga-Elite aufzusteigen. Statt dessen wurde die Mannschaft zum Aufbauhelfer für den als „Hamburger Seuchen Verein“gebrandmarkten Erzrivalen HSV.
Dabei fing alles so gut an. Werder machte von Beginn an klar, daß man hier nicht lange auf Konterchancen warten wollte. Kunz, Bode und Frings rissen mit variablem Flügelspiel die HSV-Abwehr auseinander. In der Mitte hatten Herzog und Frey viel Platz, um gefährlich nachzustoßen. Auch die Abwehr wurde nach einer Schrecksekunde durch einen Weetendorf-Kopfball an die Latte zunehmend sicherer. Wicky füllte die Libero-Position abgeklärt aus.
Der Führungstreffer durch einen Bode-Kopfball in der 25. Minute war mehr als verdient. Und als Flos Treffer nach einer Traumkombination über Herzog und Kunz wegen angeblicher Abseitsstellung aberkannt wurde, ärgerte sich kaum jemand richtig. Diesem HSV, der vom Werder-Anhang schon mit „So spielt ein Absteiger“-Gesängen verhöhnt wurde, traute niemand mehr etwas zu.
Trainer Wolfgang Sidka meinte hinterher, der Bruch im Spiel sei nach Herzogs Verletzung in der 55. Minute erfolgt. Doch auch bis dahin war in der zweiten Halbzeit nicht zu erkennen, daß Werder frühzeitig alles klar machen könnte. Einige Spieler – Frings, Kunz, Flo – wirkten ausgebrannt. Unmittelbar nach dem Ausgleich in der 78. Minute forderte Eilts den Trainer gestenreich auf, endlich auszuwechseln. Nacheinander ließen sich dann aber Bode, Ramzy und Kunz düpieren, und erst nach Dembinskis Treffer konnte Sidka Wolter für Kunz ins Spiel bringen.
Jetzt endlich kurbelte Werder das Spiel neu an und erspielte sich wieder Chancen, die allerdings kraftlos vergeben wurden. Als nach 90 Minuten das Unentschieden schon besiegelt schien, kam Anthony Yeboah zufällig zum Torschuß.
Die 30.000 HSV-Anhänger waren im Freudentaumel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sonst hätten sie sich für alle erlittene Häme mit einem kollektiven „Ihr seid zu blöd“gerächt. Zum wiederholten Mal haben die Grün-Weißen beim Big-Point versagt. Das hat nichts mit blinden Schiedsrichtern zu tun. Seit Sidka den jungen, bundesligaunerfahrenen Spielern konsequent vertraut, steigt das spielerische Niveau der Mannschaft stetig an. In entscheidenden Situationen aber kriegt sie Angst vor der eigenen Courage. Die Routiniers Eilts, Reck und Herzog, die mit aller Macht noch einmal ins europäische Rampenlicht wollen, sind darüber genauso regelmäßig sauer wie Präsidium und Anhänger. Der Weg zu neuen Erfolgen wird jedoch auch in Zukunft eine Geduldsprobe bleiben. Ralf Lorenzen
... ist freier Journalist in Hamburg und hat früher im Kulturzentrum „Schlachthof“gearbeitet
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