■ Werbung ist super!: Dreiecksquadrate und Robustschlingen
Nur in der taz gibt es das nicht. Jede andere Tageszeitung wartet alltäglich und vor allem am Wochenende mit vielfarbigen überdimensionalen sogenannten Beilagen auf. Und wer diese dann sogleich lebensunlustig als „Scheiß-Werbung“ ins Altpapier entsorgt, der hat nichts begriffen. Nirgends sonst kann man so schön und anschaulich diverse Monatsgehälter verplanen wie beim allmorgendlichen Ritt durchs Beilagenuniversum. Vor allem Baumärkte und Möbelhäuser, aber auch Schuhgroßmärkte werben dort um die Gunst des „scharf rechnenden“ Kunden.
Kein Wunder, denn „jetzt purzeln die Preise“. Und das tun sie nicht einfach so, nein, diese „historische Tat“ (Nietzsche) wird grafisch vergegenständlicht: Da werden aus normalen Zahlenkonfigurationen durch ein warnrotes Kreuz schlichtweg „Rotstiftpreise“, da grinsen prallgefüllte Sparschweine feist in die Kamera und rollen gutgelaunte Groschen über die Seiten. Wach ich oder träum ich, fragt der „hellwache Rechner“ besorgt, denn „alles was ich will“ (Kaufhof) bieten „die Leute mit den Ideen“ (Vobis) dort an – natürlich nur solange der Vorrat reicht.
Für den Traum sprechen die „radikal reduzierten sensationellen Superpreise“ und das galaktisch dünne Papier dieser Glücksfibeln, für die Realität sprechen handfeste Daten und vor allem: Fotos. Ganz nahe ist sie, die „Komplettlösung“, nur noch „wenige Kilometer fahren“ und dann „viel Geld sparen“. Dazu erhält man noch geografische Erleichterungen, denn die Gattung der Geschäfte gibt es ganz ganz oft „in Europa und einmal auch in Ihrer Nähe.“ Oh Schreck. Was wissen die über mich? Nicht nur über meine Bedürfnisse, auch über meinen Aufenthaltsort scheinen sie bestens informiert. Vielleicht auch besser so, denn so wird „bestellen leichtgemacht“.
Und überhaupt, der Umstand, daß all diese schönen Dinge, „die man einfach haben muß“, so kompakt auf wenige Seiten passen, impliziert doch, daß die auch in meine Wohnung passen. Müssen. Wer weiß, wann es so eine Gelegenheit wieder gibt? „Sparen bis zu 50 %“!!! Da ist nach Anschaffung des „romantischen Ecksofas“ vielleicht auch noch der „Schwebetürenschrank Saphir“ drin, und/oder das „Jet Bett Glasgow“. Oder ich „lebe Europa“ (K. Kinkel) und umgebe den „Couchtisch Florenz“ mit der „Anbauwand Rügen“. Natürlich alles in „aktuellen Farben“.
Und als „Zugabe aus Spaß an der Freude“ (Amigo) kommt es zur Liaison von „Klappstuhl Marlene“ und „Bettgestell Sven“ (letzterer auch als Futon erhältlich). Und der Teppich ist nicht mehr länger nur ein Teppich, sondern je nach Typ eine „Magic attraktive Wohnschlinge“ oder eine „Helsinki Robustschlinge“. Jaja, die Norweger...
Ist die Lektüre beendet, möchte man nicht nur sämtliche Taschenrollbandmaße (Profiklasse) und Mauerdurchbohrsets dieser Erde besitzen, sondern zudem irgendetwas unterschreiben, generelles Einverständnis signalisieren. Auch das geht. Wurde man zuvor pausenlos direkt angegangen („Greifen SIE jetzt zu“, „Roll's raus, zahl's später“), so wird nun flugs ein Subjekt-Objekt-Wechsel vorgenommen: Ja, ich möchte, bitte senden Sie mir, jaja, ich habe alle Fragen auf der Rückseite beantwortet und erhalte ein kleines Dankeschön und wissen Sie was? Sie, also der Empfänger, wer auch immer das ist, ich bin es jedenfalls nicht, SIE bezahlen das Porto. Kommunikation ohne Partner, man darf zuhören und sogar antworten. Die Firma „inmac“ sinnlos: „Da ist Multimedia drin!“
Jetzt wird alles gut, ich werde kaufen, bestellen und NICHT nachfragen, was überhaupt „Dreiecksquadrate“ (Bahr) sind, denn sie sind ja immerhin „gut und billig“. Und plump ist diese Werbung auch nicht, sind die Anbieter doch stets um ein Vielfaches realistischer als ihre Kunden, exorbitante Buntheit wird stets relativiert durch Zusätze wie „ohne Inhalte/Dekoration“ oder „Fliesen erhalten sie leider nicht in Altona“. Vor allem das mit Altona ist eine „Riesen Überraschung“.
Benjamin v. Stuckrad-Barre
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