wortwechsel: Wer träumt denn heute noch von Gerechtigkeit?
taz LeserInnen widersprechen einem provokativen Meinungskommentar: Kürzungen im Sozialbereich – und die Linken wissen auch nicht weiter. Stimmt das? Keine eigenen Ideen?
„Kürzungsdebatte im Sozialbereich: Und Eure Lösung, liebe Linke?“,
taz vom 15. 8. 25
Rentner gegen Rentner?
In diesem Kommentar wird die Meinung vertreten, linke Politik sollte proaktiv Sozialkürzungen vorschlagen und bei Gelegenheit exekutieren, damit die Neoliberalen es nicht noch schlimmer machen … Die gesetzliche Höchstrente liegt bei 3.572 Euro brutto (!) im Monat, und kaum jemand bezieht sie, weil das bedeutet, dass man schon im allerersten (!!) Job mindestens die Beitragsbemessungsgrenze von aktuell 8.050 Euro verdient haben muss – und das 45 Jahre lang. Daher sind bereits 1.500 Euro im Monat eine hohe Rente – nur circa 40 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen haben diese oder eine höhere Rente.
Wenn man wirklich, wie in den neoliberalen Fantasien des Autors, finanzielle Einsparungen durch einen Rentendeckel erreichen will, dass man Renten bereits kurz oberhalb von 1.500 Euro deckeln muss. Mal abgesehen davon, dass das Verfassungsgericht eine solche Massenenteignung niemals zulassen wird: Was glaubt der Autor eigentlich, was mit einer politischen Linken passiert, die eine Obergrenze von 1.500 Euro für die Rente fordert und was politisch mit Menschen passiert, die ihr Leben lang gearbeitet und in eine solidarische Rentenkasse eingezahlt haben und denen man dann sagt: Deine 2.000-Euro-Rente (brutto!) ist zu hoch, das deckeln wir mal auf 1.500?
Ralf Albers, Berlin
Goldesel Sozialstaat?
Die Zeit schrieb am 22. Januar diesen Jahres: „370 Millionäre und Milliardäre fordern in Davos Vermögenssteuer“.
Vermögende sind nicht alle uninformiert! Kommentar taz Forum
Die Lösung der Linken lautet seit Langem: Millionärssteuer, Mietendeckel und gerechte Entlohnung. Hat man dies, tut das Zahlen für die Rente nicht mehr weh.
Wir waren übrigens einmal die „Generation Praktikum“, und hatte frau Kinder, so gab es so gut wie keine U3-Bereiche in den Kindergärten. Letztere hatten geöffnet von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr, dann musste Mami das Mittagessen fertig haben, eventuell durfte das Kind dann nochmal zwei Stunden untergebracht werden. Mittagessen gab es – zu Hause! – oft mehrmals am Tag, denn die Stundenpläne der älteren Geschwister endeten zu unterschiedlichen Zeitpunkten, Betreuung für Grundschulkinder gab es oft gar nicht. Ich rede hier vom Westdeutschland der neunziger Jahre, die Zeit, in der ich gerne arbeiten gegangen wäre. Unter diesen Umständen war es schwierig, sich eine anständige Rente zu erarbeiten. Inzwischen bin ich ermüdet, nicht nur von der Care-Arbeit und von der anschließenden Berufstätigkeit, sondern auch von solchen Kommentaren. Mich wundert immer wieder, dass ein politisch korrektes Blatt wie die taz mit Ageism wenig Probleme zu haben scheint. Katharina Jacob, Jahrgang 1966
Der Kommentar wirkt eher wie das Zerrbild eines vermeintlich linken Diskurses, vielleicht ist er auch eine Verwechselung der Wirtschaftspolitik der SPD in Regierungsverantwortung mit linken Diskursen. taz Forum
Das war ein Tritt gegen das linke und das rechte Schienbein – ich dachte, mich tritt ein Pferd! Als linke Lösung zur Finanzierung der Renten wird hier vorgeschlagen, „relativ gute Renten zu deckeln zugunsten kleiner Renten“. Rentner gegen Rentner ausspielen? Zurzeit bezahlen die Arbeitgeber ein Drittel der Rente, die Arbeitnehmer ein Drittel und die Steuerzahler ein Drittel. Angesichts des demografischen Wandels wird vorgeschlagen, dass jetzt 40 Prozent von den Steuerzahlern, also aus der Staatskasse kommen. Das bedeutet Steuererhöhungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schlägt vor: eine etwas höhere Einkommenssteuer, eine jährliche Vermögensabgabe für sehr Reiche mit Vermögen von über 25 Millionen Euro und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wenn man diese Mehreinnahmen an Steuern der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung als zusätzliche Zuschüsse gibt, könnte der Beitragssatz für die gesamte Sozialversicherung um vier bis fünf Punkte gesenkt werden. Josef Klein, Backnang
Vorbild Norwegen?
Schon vor circa 30 Jahren war absehbar, wie der demografische Wandel sich entwickeln würde. Norwegen hat sich daran gemacht, das Problem ehrlich zu lösen – und hat einen Staatlichen Pensionsfonds aufgelegt, der heute mehr als 1 Billion Euro an Einlage hat. Bei uns blieb es nur bei einem kleinen Pflaster zum Übertünchen der Probleme, was die Probleme nicht gelöst, sondern immer weiter verschärft und in Richtung Zukunft verschoben hat, also auf die nächste Regierung. Dieses Verhalten wird bis heute praktiziert, ohne die Schieflage wirklich lösen zu wollen! Die Bombe demografischer Wandel wird immer größer und tickt und tickt immer weiter. taz Forum
Sie haben bei Ihrem Vergleich lediglich eine Kleinigkeit vergessen: die enormen Einnahmen im Gas- und Ölsektor, aus denen sich der Fonds speist und die Norwegen geschickt angelegt hat. Bei deutlich kleinerer Bevölkerungszahl. Ansonsten versuche ich mir gerade die Reaktion hier im Forum vorzustellen, würde der deutsche Staat Geld in Aktien anlegen. taz Forum
Hallo! Der deutsche Staat betreibt bereits einen Staatsfonds namens Kenfo. Dieser legt 35 Prozent des sogenannten Generationenkapitals in Aktien an. taz Forum
Der Durchschnittslohn in Norwegen ist mit jährlich 61.000 Euro fast doppelt so hoch wie in Deutschland, die Lebenshaltungskosten liegen aber nur 14,4 Prozent über denen in Deutschland. taz Forum
Es ist ungeheuerlich, dass in Deutschland jährlich (!!!) Steuern im Umfang von 125 Milliarden Euro von Wirtschaftskriminellen hinterzogen werden können (University of London im Auftrag der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament) und dagegen seit Jahren nichts gemacht wird. taz Forum
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