: Wer rechnen kann, soll auch unterrichten dürfen
Schleswig-Holsteins schwarz-grüne Landesregierung stellt ihr viertes Maßnahmenpaket gegen Lehrkräftemangel vor. Der Quereinstieg soll leichter werden. Davor warnt die GEW

Von Esther Geißlinger
Bundesweit fehlen Lehrkräfte – wie viele und welche, ist regional sehr unterschiedlich, ebenso wie die Maßnahmen der Länder dagegen. In Schleswig-Holstein spitzt sich die Lage zu, weil 2026 die Zeit bis zum Abitur um ein Jahr verlängert wird. Doch auch in Grund- und Gemeinschaftsschulen auf dem Land herrscht Mangel. Das Bildungsministerium will unter anderem Studierende, die ursprünglich nicht in die Schulen wollten, fürs Unterrichten gewinnen. Die Opposition hält wenig von den Plänen.
Kunst, Musik, Mathe und Informatik heißen die Problemfächer in Schleswig-Holstein. Doch Bildungsministerin Dorit Stenke (CDU) sieht eine Lösung: Ab dem kommenden Wintersemester bietet die Kieler Uni den Quereinstiegsmaster an.
Damit können Studierende mit Bachelor-Abschluss in Mathe oder Informatik ihr Fach in Kombination mit Pädagogik fortsetzen, auch wenn sie anfangs nicht Lehramt studiert haben. Ähnliches gilt für Absolvent:innen der Muthesius-Kunsthochschule. „Kunsterzieher brauchen wir sehr, und für die Kinder ist es attraktiv, wenn da jemand mit künstlerischer Vorbildung kommt“, sagte Stenke in Kiel.
Für ausländische Lehrkräfte solle der Einstieg einfacher werden. Gute Erfahrungen gebe es bereits mit ukrainischen Lehrer:innen. Und wer ein Fach studiere, das in der Grund- oder Gemeinschaftsschule gebraucht werde, dürfe direkt in den Schuldienst einsteigen und sich parallel in Pädagogik weiterbilden.
Bereits zum vierten Mal stellte die schwarz-grüne Landesregierung Ideen gegen den Lehrkräftemangel vor. „Es gibt nicht die eine Maßnahme, mit der wir Bedarf decken können“, sagte Stenke, die das Amt von ihrer Parteifreundin und heutigen Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) übernahm.
Stenke hatte als Staatssekretärin bereits an den früheren Initiativen mitgearbeitet. Deren Erfolge seien gut, sagte sie: So seien die Studierendenzahlen gestiegen, und über 90 Prozent der Absolvent:innen würden in Schleswig-Holstein bleiben. „Das zeigt, dass wir an den Schulen gute Arbeit machen und junge Leute begeistern“, freute sich Stenke.
Dennoch bleiben Stellen offen, besonders im Speckgürtel rund um Hamburg und im strukturschwachen Kreis Dithmarschen. Das Land kann Lücken per Abordnung stopfen, setzt aber auf Freiwilligkeit: Nachwuchslehrkräfte dürfen an ihren Wunschort wechseln, wenn sie zuvor drei Jahre in einer Problemregion gearbeitet haben. Wie viele Stellen insgesamt unbesetzt sind, konnte Stenke nicht genau beziffern. Zu Beginn des laufenden Schuljahres sei es eine „niedrige dreistellige Zahl“ gewesen.
Diese Unwissenheit sei „irritierend“, sagt Anne Riecke, Bildungsexpertin der FDP-Landtagsfraktion. Insgesamt sei das vierte Paket zur Lehrkräftegewinnung „enttäuschend“, denn es löse die strukturellen Grundprobleme nicht, sondern setze auf „Kleinstmaßnahmen“.
Rund 49.000 Lehrkräfte fehlen bundesweit zwischen 2024 und 2035, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) berechnet.
Hamburg steht gut da. Im laufenden Schuljahr wurden 1.005 neue Lehrkräfte eingestellt. Dennoch fehle Personal, besonders an Grundschulen in Brennpunktvierteln, kritisiert die GEW.
Bremen meldete zum Schuljahresbeginn 75 freie Stellen. Um Lücken in Brennpunktschulen zu vermeiden, setzt das Land auf zentrale Steuerung und Abordnungen.
In Niedersachsen waren 99 Stellen von 1.467 ausgeschriebenen Stellen zu Schuljahresbeginn unbesetzt. Das Land will mehr Quereinsteiger:innen einstellen und pensionierte Kräfte länger im Dienst behalten.
Die Gewerkschaft GEW warnt davor, die Anforderungen zu senken: „Lehrkräfte brauchen eine fundierte Ausbildung. Mit einer Lehrkraft-light ist niemandem geholfen“, sagt die Co-Landesvorsitzende Kerstin Quellmann. Sie kritisiert vor allem die Idee des Direkteinstiegs ohne pädagogische Vorkenntnisse.
„Inzwischen sind zwölf Prozent der Lehrer:innen an unseren Schulen gar keine richtigen Lehrer, an den Grundschulen 17,3 Prozent“, sagt Martin Habersaat (SPD) – das sei viel zu viel. Und obwohl die Regierung Unterricht gestrichen und Gruppen vergrößert hat, würden viele Stunden ausfallen, in denen die Jugendlichen frei arbeiten sollen, also sich selbst überlassen blieben.
„Kosmetische Änderungen werden nichts verbessern, solange der grundsätzliche Kurs der falsche bleibt“, sagt Habersaat. „Der Titanic hilft kein neuer Anstrich, solange sie auf den Eisberg zusteuert.“
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