■ „Wer ohne Sünde ist, werfe das erste Schwein“: Freispruch für Tünnes
Köln (taz) – Mitten im kalendarischen Hochsommer feierten die Kölner dieser Tage im Justizpalast eine karnevalistische Session: Angeklagt wegen der Beleidigung von religiösen Bekenntnissen stand Dr. Thomas Köller vor den Schranken des Amtsgerichts. Als Regisseur der karnevalistischen „Stunksitzung“ hatte sich der 35jährige einen Namen gemacht. Mit alternativem Humor konnte er selbst linke Karnevalsmuffel begeistern. Vor Gericht mußte er sich verantworten, weil er in der Stunksitzung an einem Kruzifix den Schriftzug INRI mit TÜNNES vertauscht hatte. (Die Wahrheit berichtete.) Angeschwärzt bei der Staatsanwaltschaft hatte ihn dafür der bekennende Katholik und Rechtsanwalt Dr. Louis-Ferdinand Peters.
Unter massiver Medienpräsenz erklärte Regisseur Köller „als alter Meßdiener“ dem mit ernster Miene dreinblickenden Richter Michael Allmer, daß er im Karneval Kritik an der Obrigkeit üben wollte. Dies sei seit Jahrhunderten üblich. Mit der strittigen Casablanca-Szene, die in einer Autobahnkirche spielt, habe er die unchristliche Behandlung des Kirchenkritikers Eugen Drewermann durch die Amtskirche geißeln wollen. Im übrigen sehe er es als „dionysische und gottgefällige Pflicht an, mit der Satire die Götter aus ihrer Langeweile zu reißen“, erläuterte der Regisseur. Manchem gottesfürchtigen Prozeßbeobachter stockte das Blut in den Adern, als der Regisseur dann den Heiligen Vater des Irrens bezichtigte: „Auch der Papst ist ein Tünnes, weil er den Kölnern diesen Kardinal Meisner vor die Nase gesetzt hat.“ Zur Begeisterung des Publikums stellte der Regisseur in künstlerischer Freiheit seine Bibelfestigkeit unter Beweis: „Wer frei von Sünde ist, werfe das erste Schwein.“
Der wagemutige Angeklagte hatte nicht damit rechnen können, daß der Staatsanwalt und Ex-Meßdiener mit dem Namen Rainer Wolf vor der Verhandlung offensichtlich Kreide gefressen hatte. Als alter Kollege aus den Zeiten am Altar brachte er eine überraschende Portion Witz und Verständnis für den Angeklagten auf: „Vielleicht bin ich nicht häufig genug zum Schwenken des Weihrauchfasses eingeteilt worden und reibe mich deswegen genauso wie Sie an der Kirche.“ Er bezweifele, daß Jesus heutzutage von der katholischen Kirche auch nur einen Job im mittleren Dienst bekommen würde. Um nicht ganz das Gesicht als Ankläger zu verlieren, waltete Staatsanwalt Wolf dann doch noch seines Amtes: Bei aller Sympathie für das Dionysische verbinde er mit dem Bild Tünnes' am Kreuz eine Negativ-Wertung. Tünnes sei ein Karnevalsjeck, der am Kreuz hängt und „sie nicht alle auf dem Kasten hat“. Als Vorbestraften wollte er den Regisseur nicht ins Leben entlassen und plädierte für eine scharfe richterliche Verwarnung für den Sünder.
In seinem Schlußwort bot der Angeklagte an: „Locht mich ein, falls einem Christen ein Haar gekrümmt wird.“ Zur Diskriminierung von Katholiken werde es aber wohl nicht kommen. Er schlug den Bogen von der Satire im Gerichtssaal zur Realität: In Fulda könnten die Nazis unbehelligt aufmarschieren, und der sonst so redselige Bischof Dyba sagte dazu kein Wort.
Richter Allmer beendete die Karnevalssitzung im Gerichtssaal mit einem Freispruch für den Angeklagten. Das Publikum der Stunksitzung könne Satire verstehen, befand der Richter. „Schließlich haben die Zuschauer der Karnevalssitzung dafür gezahlt, daß dort Stunk gemacht wird.“
Anzumerken bleibt noch, daß der Angeklagte kürzlich Vater wurde. Die stolzen Eltern gaben ihrem Erstgeborenen den Namen Anton. Der Kosename für Anton in Kölle am Rinn lautet bekanntlich: Tünnes. Markus Grabitz
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