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Wer kriegt die Bären?

■ Am heutigen Dienstag werden die Preise verliehen. Wie immer zu diesem Anlaß das Letzte aus der Gerüchteküche

Moritz de Hadeln hat seinen Lieblingsfilm ja schon verraten. Soviel Vorschußlorbeeren wie in diesem Jahr für Kevin Costners Der mit dem Wolf tanzt hatte er auf den vergangenen Festivals noch nie für einen Film übrig. Seinen gegenüber der taz geäußerten Hinweis auf die Aktualität des Streifens — man müsse sich statt der Sioux nur die Araber denken — kann man sich nicht oft genug auf der Zunge zergehen lassen. Vor allem, weil wir ja wissen, wie die Geschichte mit den Sioux in Amerika am Ende ausging. Angesichts des Bodenkrieges ist zu befürchten, daß er auch mit dieser — von ihm bestimmt nicht mitbedachten — Parallele rechtbehalten wird. Der Jury-Vorsitzende Volker Schlöndorff ist allerdings ganz anderer Meinung. Wie die Kollegen berichten, soll er den „Indianerfilm“ bereits kräftig beschimpft haben. Daß er überstimmt wird, ist ebenfalls unwahrscheinlich: Erst im vergangenen Jahr ging der Goldene Bär an eine US-Produktion, Costa-Gavras' Music Box. Und da das Festival diesmal ganz im Zeichen Europas stand — zumindest wurde uns dies von allen Seiten beteuert —, wird die Jury es nicht wagen, schon wieder einen amerikanischen Film gewinnen zu lassen.

Ich tippe auf den Tangospieler. Erstens verhandelt er, zumindest indirekt, das Ende der DDR. Politische Großereignisse hat die Berlinale schon immer gerne mit Preisen gewürdigt. Zweitens tut er — ähnlich wie seinerzeit Stammheim — niemandem weh und klagt niemanden an. Wenn es nach diesem Film ginge, könnte die Mauer genausogut noch stehen. Er fordert bestenfalls Reformen, und ein bißchen schlechtes Gewissen hatten die Deutschen immer schon ganz gerne. Drittens ist Roland Gräfs handwerklich sauberer Defa-Film eine Literaturverfilmung, und auf sowas steht Schlöndorff. Wenn der Jury, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Osteuropäern besteht, allerdings das Thema Vergangenheitsbewältigung am Herzen liegt, dann haben auch Claude Berris Uranus und der schwedische Wallenberg gute Chancen. Aber letzterer bekommt bestimmt den Friedenspreis.

Sollte es auch nur einen leidenschaftlichen Cineasten in der Jury geben (keine Ahnung, wie oft Laurie Anderson ins Kino geht), dann wird diese/r für Jacques Doillon und Jonathan Demme plädieren: die einzigen Wettbewerbsfilme, in denen man nicht sah, was man schon kannte.

Für die Darsteller-Preise sind die alte Ingrid Thulin (in Ferreris La Casa del Sorriso) und die junge Susanne Lothar (in Imhoofs Der Berg) bärenverdächtig, Ingrid Thulin schon alleine deshalb, weil die Italiener im Wettbewerb quantitativ über- und qualitativ unterdurchschnittlich vertreten waren. Bleibt das Geheimnis um Scola. Vor zwei Jahren wurde Giuseppe Tornatores Film Cinema Paradiso) nicht in den Wettbewerb aufgenommen. Die Nachricht machte Skandal. Die Berlinale hat an den Italienern also etwas gutzumachen. Auch die ungewöhnliche Plazierung eines nicht unwichtigen Wettbewerbsfilms auf den letzten Tag der Berlinale lädt zum Spekulieren ein. Mehr können wir zu diesem Film nicht sagen, denn wir haben ihn ja auch noch nicht gesehen. Chp

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