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Archiv-Artikel

Wer jetzt kein Haus hat, der muss draußen spielen Armut kann auch Spaß machen. Man muss sich nur mit der Realität abfinden

„Bundeshilfe abgelehnt“ – „Krise aus eigener Kraft überwinden“ – „… handele sich nicht um einen Notstand, sondern lediglich um eine angespannte Haushaltslage …“ Frau B. pulte sich mit dem kleinen Finger im Ohr. Was da aus dem Radio tönte, war ja noch schlimmer, als sie erwartet hatte. Den Haushalt sanieren, damit hatte man rechnen müssen. Wenn Berlin aber weitere 20 Prozent einsparen musste, bedeutete das erfahrungsgemäß, dass die Kosten privater Haushalte entsprechend steigen würden.

„20 Prozent auf alles – außer auf Tiernahrung.“ Frau B. fiel nicht mehr ein, wer im letzten Wahlkampf mit diesem Slogan für sich geworben hatte – warum musste sie immer an Bruce Willis denken, wenn sie ihn hörte?

Egal. Das kostenlose Kita-Jahr, in dessen Genuss Frau B.s kleiner Sohn nächstes Jahr gekommen wäre, konnte sie nun wohl vergessen. Also doch wieder knapp 1.000 Euro mehr im Plan.

Dann die BVG-Tickets. Um 10 Cent hatte die BVG die Tickets zuletzt verteuern wollen. Nun würde die Preiserhöhung wohl um einiges höher ausfallen. Frau B. seufzte und holte widerwillig den kleinen Finger aus dem Ohr. Der geplante Zoobesuch zum Geburtstag ihrer Ältesten musste da wohl gestrichen werden: 20 Prozent auf 1,40, den Preis für ein Kinderticket – das wären gut 1,70. Allein die Fahrtkosten für sie und die zehn Kinder würden dann fast 40 Euro verschlucken: mehr als ein Drittel des Gesamtetats für die Feier.

Zum Glück, fiel Frau B. ein, käme der Zoo sowieso nicht mehr in Frage. Wie der Tierpark stünde der wohl auch auf der Schließungsliste. Der Bestand des Aquariums würde weitgehend vom privaten „Sealife“ übernommen werden, die Überwassertiere würden zum großen Teil an andere Zoos oder die Kinderbauernhöfe abgegeben. Die würden solche Geschenke aber ablehnen, da sie die Ernährung ihrer Tiere ausschließlich aus Spenden finanzieren müssten. Gut, dass Tiernahrung nicht teurer würde, dachte Frau B. sarkastisch und überlegte kurz, ob sich daraus wohl ein guter Ersatz für das klassische Geburtstagsessen Pommes und Hühnchenteile entwickeln ließe.

Nun gut, dann musste eben auch für diesen Geburtstag die gute Schnitzeljagd im Park herhalten. War ja auch gesund, Bewegung an frischer Luft. Obwohl – Frau B. kaute nachdenklich an ihrem Bleistift: Würde dort nicht auch Eintritt erhoben? 1,50 für Kinder im öffentlichen Park. Klingt realistisch. Überhaupt – öffentlich. Frau B.s steile Stirnfalte zog sich noch ein bisschen düsterer zusammen. Der Begriff ließ sie an Schule denken und brachte ihr damit in Erinnerung, dass sie auch die Nachhilfekosten für die Kinder neu berechnen müsste. Denn die versprochenen Vertretungslehrer würde es nun wohl kaum geben. Nachhilfelehrer – das war schon seit langem einer der krisenfesteren Berufe in Berlin. Doch es würden nun wohl immer weniger werden, die sich das noch leisten konnten. Frau B. überlegte kurz, ob sie wohl ihren Exmann zur Finanzierung des Schulersatzunterrichtes bewegen sollte. Aber nein, hatte da im Radio eben nicht auch irgendjemand gesagt, man solle „sich nicht auf Kosten anderer sanieren“? Und stattdessen „seine Stärken stärken“?

Frau B. straffte die Schultern. Könnte nicht auch sie wie immer mehr Deutsche ihr Glück im Ausland versuchen? „… haben die Nachbarländer beschlossen, strengere Einreisebestimmungen zu erlassen …“ – die Stimme des Nachrichtensprechers ließ Frau B.s Hoffnung zerplatzen.

Nun – was soll’s? Frau B. beschloss, sich den Realitäten zu stellen. Wenn Karlsruhe befand, es gebe derzeit keine „extreme Haushaltsnotlage“, würde sie das beim Wort nehmen. Wo hatte sie kürzlich dieses sexy rote Kleid gesehen? Wenn sie schon arm war, wollte sie doch wenigstens … Und immerhin, Vorteile hatte das große Sparen ja auch. Das Ensemble der Deutschen Oper würde wohl bald umsonst und draußen spielen …

Beschwingt stand Frau B. auf und verstaute ihr Haushaltsbuch im Schrank. Alke Wierth