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Archiv-Artikel

Wer ist die Protest-Partei?

Grüne und Linkspartei wollen sich in der Bewegung profilieren. Im ostdeutschen Rostock liegen Lafontaine und Co leicht vorn. Die Grünen setzen auf das Klima

Gäbe es nicht Wurst und Bier, hätten die Bad Doberaner mit Lafontaine an der Spitze auf der Stelle den Zaun erklommen

Der Stand nach der Großdemo am Samstag war: unentschieden. Die Schilderträger von Grünen und Linkspartei hatten gute Arbeit geleistet. Beide Parteilogos waren zahlreich und gut sichtbar vor der Bühne vertreten. Der G-8-Protest ist eine große Bühne für die beiden Parteien. Es geht um Rednerlisten, Aufrufe, optische Präsenz. Über allem schwebt die Frage: Wer ist die bessere „Protest“-Partei?

Die Linkspartei hat sich im Zentrum von Bad Doberan ein Zelt aufgebaut. Dort kritisiert sie drei Tage lang das kapitalistische System – und kann dabei als einzige Protest-Organisation auf eine nennenswerte Basis in der Bevölkerung bauen. Viele Mecklenburger sind da, als Parteichef Oskar Lafontaine am Sonntagabend über „Ursachen und Folgen kapitalistischer Globalisierung“ redet und von der „Verstaatlichung der Schlüsselindustrien“ spricht. Später lobt er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Zaun. Merkel habe endlich „die acht Top-Terroristen der Welt hinter Gitter gebracht“. Die Leute im Zelt jubeln. Hätte es dort nicht Bratwurst und Bier gegeben – mit Lafontaine an der Spitze hätten sie auf der Stelle den Zaun erklommen.

Die Grünen dagegen bekommen schon auf der Demo den Frust ihrer Bündnispartner ab. Direkt hinter dem Klimablock reihen sich die Flüchtlings-Aktivisten ein. Die versammelte Grünen-Spitze muss sich als „Abschieber“ und „Kriegstreiber“ beschimpfen lassen. „Eine solche Aggressivität habe ich lange nicht erlebt“, so die Parteivorsitzende Claudia Roth.

Seit den von Rot-Grün beschlossenen Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist die Friedenspolitik die Achillesferse der Grünen. Weder Lafontaine in Bad Doberan noch Linkspartei-Vize Katja Kipping versäumen bei den Kundgebungen, auf das Thema einzugehen. Die Grünen versuchen mit dem Klima zu punkten. „Das Klimathema wird mit uns verbunden“, sagt Roth.

Im Vorfeld der Demo waren es vor allem die Linken, die mit ihrer Infrastruktur und ihrem Geld einsprangen. „Wir sind ein organischer Bestandteil der Proteste, wollen sie aber nicht dominieren“, sagt Kipping. Um nicht den Verdacht der Vereinnahmung aufkommen zu lassen, musste die Hilfe der Linken im Hintergrund laufen. Ein Zuschuss hier, ein Kopierer dort. Kipping berichtet von einem Rostocker Friedensaktivisten, der gesagt habe: Die Linke kümmert sich um die Regale, die Roth um die Redezeit.

Der Kampf um die Plätze bei der Abschlusskundgebung war ein Lehrstück des politischen Quotensystems. Sowohl Roth als auch Lafontaine hätten gerne geredet, waren aber nicht erwünscht. Dann sollte Kipping bei der Abschlusskundgebung sprechen und die Chefin der Grünen Jugend, Paula Riester, beim Auftakt. Nach heftiger Intervention redeten beide am Ende. Auch in der Gipfelwoche suchen die Parteien die Nähe zum Protest. Die Grünen ließen am Montag ihren Bundesvorstand in Rostock tagen. Die Jugendorganisationen von Linkspartei und Grünen nehmen gemeinsam an den Sitzblockaden von Block G 8 teil. Auch beim Alternativgipfel, der seit gestern in Rostock tagt, sind Vertreter beider Parteien vor Ort. Kipping wird dort zum Grundeinkommen reden. Und Roth will endlich wieder mit Friedenspolitik punkten: Sie tritt als Referentin auf: in einem Workshop zum Thema Abrüstung.

NIKOLAI FICHTNER