■ Wer denkt heute noch an Ruanda?: Perfider Spruch von der Neutralität
Erst ein halbes Jahr ist es her, seit Ruanda zum Inbegriff einer neuen Dimension des Verbrechens wurde, seit zwischen einer halben und einer ganzen Million Menschen im Auftrag der Herrschenden ermordet wurden, weil sie als Vertreter der falschen Ethnie oder der falschen Partei galten. Erst ein halbes Jahr ... Das Nachkriegs-Ruanda von heute ist ein ausgeblutetes Land, ein Ruinenhaufen, während der Staatsapparat größtenteils mit den geflohenen Ex- Machthabern verschwunden bleibt. Es gibt im Ruanda von heute nicht einmal mehr neutrale Bürger, die sich mit internationaler Hilfe als Pioniere des Wiederaufbaus einsetzen lassen könnten, sondern nur Täter und Opfer. In den Feuersbrünsten des Völkermords ging jegliches Restbewußtsein einer geeinten Nation in Flammen auf.
Die Drahtzieher dieses Völkermordes waren keine tumben Schlächter, sondern politisch weltgewandte und kluge Menschen, mit Erfahrung auf dem Parkett der Diplomatie und Freunden in den Herrscherhäusern der Welt. Es war ein außergewöhnliches Ereignis, daß die Außenwelt zusah, wie ein Land von seinen international anerkannten Herrschern per Völkermord der Zerstörung anheimgegeben wurde. Nicht nur war daran außergewöhnlich, sondern perfide, daß sich Hilfs- und Interventionsbereitschaft erst dann mobilisierte, als die Täter sich selber zu Opfern machten. Als sie nach dreimonatigen Brandorgien selbst geschlagen wurden, stellten sie sich öffentlichkeitswirksam als darbende Flüchtlinge vor die Welt, um nach der militärischen Niederlage wenigstens den moralischen Sieg zu erringen. Weitaus mehr internationale Hilfe und Sympathie fließt auch heute noch an die Flüchtlinge in Zaire, diese Wüstenei politischer Moral, wo die Reste des alten ruandischen Regimes völlig ungestraft befehligen und terrorisieren dürfen.
Erst im Ruanda von heute wird das volle Ausmaß der Katastrophe sichtbar, die das Gerede vom „Stammeskrieg“ produziert hat. Waren Hitlers Massenvernichtungslager Schauplatz eines deutsch-jüdischen „Stammeskrieges“? Natürlich sahen sich die Gegner in Ruanda auch – propagandistisch aufgehetzt – in ethnischen Kategorien. Doch die Rede vom „Stammeskrieg“ ist Apologie fürs Zuschauen, Begründung einer Gleichsetzung von Mördern und Ermordeten. Wer „Hutu“ und „Tutsi“ für Ruanda als Kategorien des Verstehens benutzt, tut so, als bestünde die eigentliche Katastrophe nicht im Massenmord, sondern im Versuch des Zusammenlebens. Es ist das Spiel der Mörder.
Das Ruanda von heute, mit einer um innere und äußere Anerkennung kämpfenden Regierung, ist mit dem Völkermord hochgradig vorbelastet, obwohl es ihn nicht selbst verschuldet hat. Es gibt nicht die eine ruandische Nation, es gibt keine staatliche Neutralität mehr. Neu-Ruander aus Uganda, die mit Ruanda seit dreißig Jahren nichts mehr zu tun hatten, suchen auf verlassenen killing fields ihre neue Zukunft, während in den Lagern Zaires ein neues Vertriebenendrama sich dauerhaft einrichtet – unter der Ägide jener weltgewandten Freunde des Westens, die nun auf Revanche sinnen, komme sie auch erst in dreißig Jahren.
Und was tut derweil die Außenwelt, die dem Völkermord zusah? Die UNO versuchte erst mit ihrem Dringen auf ein Kriegsverbrechertribunal das moralische Monopol zu sichern, ernennt jetzt aber durch die von Frankreich gewünschte Gleichsetzung beider Seiten wieder eine nicht in den Tatsachen begründbare Neutralität und eine faktische Untätigkeit zum höchsten Gut. Das Reden von Neutralität und davon, Verbrecher beider Seiten gleichermaßen zur Rechenschaft ziehen zu müssen, ist ja unter positivistischen Gesichtspunkten verständlich und sogar richtig, hat aber dieselbe praktische Konsequenz wie das Reden vom „Stammeskrieg“: Es ist letztendlich egal, wer wem was warum antut.
Welche Chance hat Ruanda? Weder aus eigener noch aus fremder Kraft besteht an einem Neuaufbau ein so großes Interesse, daß alles andere dahinter zurücktreten könnte. Massenmord und weltweites Entsetzen legen eine Pause ein, aber die Denkmuster, die sich in den Massenmorden offenbarten, die wirken weiter – inner- und außerhalb des Landes. Man kann nur hoffen, daß sie dennoch wirkungslos bleiben. Sonst bleibt nur der Countdown zum nächsten Massaker. Dominic Johnson
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