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Archiv-Artikel

Wer braucht schon Philosophen

An der schlechten Position im Verteilungskampf an den Unis sind die Geisteswissenschaften selbst schuld, sagt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth. Philosophie-Professor Georg Mohr kontert: Sein Fach werde immer im Legitimationszwang stehen, weil sich der Nutzen nicht in Geldwerten messen lässt

taz: Graben die Naturwissenschaften den Geisteswissenschaften in Bremen das Wasser ab?

Gerhard Roth: Auf gewisse Weise schon. Das liegt aber nicht an den Naturwissenschaften selbst, sondern an den derzeitigen Kriterien für die Vergabe von finanziellen Mitteln. Bei diesen Kriterien geht es zunehmend um Forschung im naturwissenschaftlichen Sinn, um das, was messbar und gut dokumentierbar ist. Auch das Universitäten-Ranking honoriert im wesentlichen die Forschungsleistung und leider erst in zweiter Linie die Qualität der Lehre. Die Geisteswissenschaften sind bisher stärker an der Lehre als an der Forschung interessiert. Wenn sich in dieser Hinsicht nicht etwas ändert – was zum Beispiel bedeuten müsste, dass die Geisteswissenschaften mehr Forschungs- und Drittmittel-bewusst werden, dann könnte die Bremer Universität mehr und mehr zu einer technischen Universität werden. Ich habe Verständnis für die, die so etwas bedauern würden.

Je weiter die Ökonomisierung der Universitäten fortschreitet, desto mehr gerät die Philosophie als antiquierte Disziplin in Verruf. Kann man sie dann nicht auch ganz abschaffen?

Das große Problem der Geisteswissenschaften in Deutschland ist, dass sie sich zum erheblichen Teil einer Bewertung von außen entziehen. Damit erweist man sich einen Bärendienst. Das gilt nicht für die Philosophie in Bremen, die ist exzellent. Aber es gibt tatsächlich Bereiche, in denen die Leute nicht nur international, sondern auch national überhaupt nichts publizieren. Die Frage ist nicht, ob Geisteswissenschaften notwendig sind – da würde ich sagen: natürlich. Aber sie schaufeln sich ihr eigenes Grab, wenn sie sich weigern, ihre Arbeit öffentlich-kritisch zur Diskussion zu stellen. Das ist selbstverschuldete Unmündigkeit.

Was können denn Philosophie und Hirnforschung voneinander lernen?

Als Hirnforscher arbeite ich im Labor. Sobald Neurowissenschaftler aus ihren Daten ein Theoriegebäude konstruieren wollen, müssen sie sich in Bereiche der Philosophie begeben, aber sie können das nicht alleine tun. Es ist ganz schlimm, wenn ein Hirnforscher ohne philosophisches Training bzw. ohne die Hilfe von Philosophen „herumzuphilosophieren“ beginnt. Den Philosophen wiederum mangelt es oft am empirischen Fundament. Ein Beispiel: ein Philosophiekollege hat vor einiger Zeit in Bremen einen Vortrag über Schmerz gehalten. Den hab ich gefragt, ob er mit dem aktuellen Stand der medizinisch-physiologischen Schmerzforschung vertraut sei. Da meinte der, nein, das müsse man als Philosoph auch gar nicht. Das fand ich schon erstaunlich, wie jemand über Schmerz philosophieren kann und null Ahnung vom aktuellen Erkenntnisstand hat. So darf Philosophie nicht sein.

Die Hirnforschung beschäftigt sich mit der Frage der Willensfreiheit und wildert damit in einem traditionellen Gebiet der Philosophie. Was können Sie, was die anderen nicht können?

Es gibt keine Fragen, die nur die Philosophen etwas angingen. Wenn aber ein Kognitionswissenschaftler über Willensfreiheit redet, dann muss er das einschlägige philosophische Wissen parat haben. Die Frage, was aus den Einsichten der Hirnforschung und der Psychologie folgt, sollte im wesentlichen von Philosophen beantwortet werden. Die müssen sich dann aber in der Materie auskennen.

Die Philosophie zeigt außerhalb der Universität momentan wenig Wirkung...

Das ist schade und muss auch nicht sein...

...die Hirnforschung hingegen wird auf einer populärwissenschaftlichen Ebene breit diskutiert. Freuen Sie sich darüber?

Die Hirnforschung ist in fast unangenehmer Weise en vogue. Man kann sich vor Artikel- und Interviewwünschen kaum retten. Das ist nicht nur gut, denn eine Wissenschaft braucht Ruhe.

Wo sehen sie die Neurowissenschaften und die Philosophie in zehn Jahren?

Es gibt unglaublich wichtige Fragen: wohin entwickelt sich unser westliches Menschenbild? Die Fragen nach der Manipulierbarkeit des Gehirns, das ist alles völlig undiskutiert. Hier kommen Debatten auf, die als philosophisch langweilig galten. Vor zehn Jahren hat sich niemand für Willensfreiheit interessiert, jetzt reden alle drüber. Das ist zugleich eine große Chance für die Philosophie, und die Philosophen sollten das positiv sehen, und nicht auf die Hirnforscher eindreschen. Jetzt gibt es doch endlich mal was zu diskutieren. Und wann hat man als Philosoph schon die Chance in der FAZ oder im Spiegel zu stehen? Fragen: B. Moldenhauer