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Archiv-Artikel

Wenn nichts aufgeht

„Was bleibt?“ – „Na, nichts, ne?“ Das Zeughaus-Kino zeigt das Gesamtwerk von Thomas Heise, des bedeutendsten Historikers des deutschen Kinos: Heises Filme zeigen die Leute so, wie sie sind

VON BERT REBHANDL

Das Ende des Sozialismus in Deutschland filmte Thomas Heise bei einem Würstelstand in Berlin. In der Küche herrscht noch routinierte Geschäftigkeit, Massenware wird ausgepackt, riesige Töpfe werden gereinigt, aus dem Radio sind die Verlautbarungen zum bevorstehenden 40. Jahrestag der DDR zu vernehmen. Viele Menschen verlassen in diesen Tagen einen Staat, der sich als Vaterland nur ideologisch maskiert hatte. In dem Kurzfilm „Imbiss spezial“ wird diese Zeit des Übergangs als Stimmengewirr begriffen, aus dem am Ende ein Lied von Schubert herausklingt: „Wehe den Fliehenden“, singt Peter Panders in einer Aufnahme, die gegen Ende des 2. Weltkriegs entstand.

In „Imbiss Spezial“ ging die Parole „DDR – Unser Vaterland“ im Lärm der sich abzeichnenden Wende unter. Heise fand genau den Moment, in dem der Staat sich in die Gesellschaft auflöst, in dem seine Präsenz nur noch akustisch ist, während die Menschen ihn allmählich übertönen.

Der Film „Vaterland“ – über das Dorf Straguth im sächsischen Einzugsgebiet der Elbe – enthält ähnliche Echos aus der Geschichte, und immer noch geht es um Heises entscheidende Fragen: Wo beginnt Gesellschaft? Wo endet der Staat? Wo bleibt der Einzelne?

Mit dem Unterschied, den die Leute ausmachen, hat das Werk von Heise begonnen. „Warum denn über diese Leute einen Film?“, hieß seine erste dokumentarische Arbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg 1980. Heise zeigte keine gesellschaftlichen Produktivkräfte, sondern jugendliche Kleinkriminelle beim Kaffeeklatsch mit ihrer Mutter. „Das Haus“ und „Volkspolizei“, zwei weitere Filme aus der Zeit der DDR, können erst nach der Wende gezeigt werden. Mit der Wiedervereinigung öffnet sich für Heise ein Raum, in dem er die DDR als Vaterland neu zu suchen beginnt. Er dreht mit „Eisenzeit“ einen Film, den er 1981 schon einmal begonnen hatte. Es geht um die Kinder von Eisenhüttenstadt, der sozialistischen Musterstadt. Mario und Tilo haben sich das Leben genommen. Frank hat überlebt, als Gezeichneter. Die Beziehungen rekonstruieren sich nur langsam, es gibt Autofahrten der Nachgeborenen durch ein verregnetes Berlin, Besuche bei einer Lehrerin, die den Anstand der Stasi-Mitarbeiter verteidigt.

Der erste Film aus dem Jahr 1981 wurde verhindert – wegen der „Staatsdisziplin“, die ein Mann, „der etwas zu sagen hatte“, ins Feld führt. „Eisenzeit“ ist der Nachfilm zu einem Unfilm, er endet bei Frank, dem Überlebenden. Dessen Worte sind harsch, er spricht von Hass, und das ist auch das Thema des Films. In „Eisenzeit“ wird die ganze DDR-Gesellschaft „asozial“, unerreichbar für therapeutische, sozialstaatliche Interventionen, während umgekehrt auch die Gesellschaft des wiedervereinigten Deutschland in weite Ferne rückt.

Die Qualitäten der Novemberrevolution von 1989 drohen in Vergessenheit zu geraten. Drei Jahre später, als Heise „Stau – Jetzt geht’s los“ dreht, gehört der Begriff Volk schon wieder zur Mythologie der Rechten. Die Leute haben ihre Probleme mit der freien Marktwirtschaft. Es ist der Vater einer bis zum Jahr 2000 – als Heise die Fortsetzung „Neustadt – Der Stand der Dinge“ dreht – auf acht Köpfe anwachsenden Familie, der pragmatisch von „Sorgen“ spricht, während die Söhne eine grundsätzliche Antwort suchen und sie in der Ideologie der Rechtsradikalen finden. Bei einem Kameradschaftsabend wird der „Anschluss an das kapitalistische Deutschland“ beklagt. Die DDR erscheint jetzt wegen ihrer Organisationsform als Verlust.

Die jungen Leute, mit denen Heise seine Interviews führt, sind in der Gruppe ideologisch. Wenn sie allein sprechen oder mit der Freundin, sind sie auf der Höhe der „Sorgen“ des Vaters, der mit seiner Frau und dem Jüngsten mittlerweile in einem Doppelhaus im Grünen wohnt, das auf die Flutwiesen der Saale gebaut wurde.

In „Barluschke“ fand Heise 1997 einen Mann, der alle diese Widersprüche in sich austrägt und dazu noch selbst die Videokamera einschaltet, um „objektive Kontrolle“ darüber zu haben. Der Film berichtet vom Zerfall einer Familie, die ihr Zentrum in einem Mann hatte, dessen Stärke an der Logik des Kalten Kriegs zerbricht. Der Doppelspion Berthold Barluschke endet als sentimentaler Familientyrann. Es geht nichts auf, wie in allen Filmen Heises. „Identität ist eine Mythe“, steht im Abspann zu lesen. Der Satz ist ein Echo auf die Negationen, mit denen Heise häufig die Schlussakkorde setzt: „Was bleibt?“ – „Na, nichts, ne?“ Das war in „Eisenzeit“. In „Vaterland“ gleitet die Kamera am Ende an den Mauern entlang und findet eine Brutalität in Stein, die von der Natur liebkost wird.Thomas Heise ist der bedeutendste Historiker des deutschen Kinos.

Die Werkschau Thomas Heise ist bis zum 31. Oktober im Zeughauskino zu sehen