■ Wenn nach dem Exitus immer noch nicht Schluß ist: Mehr Schein als Sein
Tot sein möchte an und für sich niemand gern. Massaker in den Spätnachrichten, gut, Leichenteile auf dem Teller, prima, aber selbst in die Grube fahren? Da hört der Spaß auf, das stimmt auch den hartgesottenen Funfanatiker irgendwie unfroh.
Dabei ist noch nicht einmal gewiß, ob der Tod die schlimmste aller Möglichkeiten ist. Jeder Edgar- Allan-Poe-Fan weiß, wovon die Rede ist und fürchtet es: das Leben nach dem Begräbnis. Nicht etwa die Weicheivariante mit Tunnel, Lichtspektakel, Sphärenklängen und herzlichem Empfang durch Oppa Willem – nein, real life.
Du wachst auf, tastest nach deiner Leselampe, und da beginnt schon der Ärger, sie ist nicht da. Keine Daunendecke, keine Zigaretten. Verdammt eng ist es. Stickig. Du begreifst, deine Ansprüche werden augenblicklich geringer; plötzlich gläubig geworden, enthält dein Stoßgebet nur noch die Bitte um Sauerstoff, und dann soll irgendwer kommen, der dich schreien hört..., solange du noch schreien kannst.
Kaum jemand, der nicht schon eine Nacht lang über diesem Gedanken gebrütet hätte. Hans Christian Andersen zum Beispiel pflegte vorbeugend jeden Abend einen Zettel auf seinen Nachttisch zu legen, auf dem stand: „Ich bin nur scheintot!“
Keine übertriebene Vorsicht. Bereits aus dem Jahre 33 ist ein gut dokumentierter Fall überliefert, der immer wieder gern zitiert wird, spazierte doch der junge Mann kurz nach seiner Beisetzung etwas lädiert, aber keineswegs tot aus der nur schlampig verriegelten Gruft.
Unzählige ähnliche Begebenheiten lassen sich seitdem bis weit ins neunzehnte Jahrhundert nachweisen, eine Tatsache, die technisch begabte Zeitgenossen en masse zur Erfindung von Särgen inspirierte, die mit einem System von Schläuchen, Glocken, Ventilatoren und ännlichem das Schlimmste verhindern sollten. Dank verbesserter Methoden zur Feststellung des Todes ist der „Sicherheitssarg“ inzwischen out – so zumindest die offizielle Auskunft von Bestattern und Ärzten.
Praktische Klingelknöpfe in den Kühlkammern
Gleichwohl drängt sich dem Pessimisten die Frage auf, wozu es noch in den 60er Jahren in den Kühlkammern des Straßburger Krematoriums Klingelknöpfe gab. Interessant auch ein Stern-Artikel aus den Siebzigern, in dem der Direktor des Tübinger Instituts für Gerichtsmedizin aus dem Kühlkästchen plaudert: „Von acht Scheintoten, bei denen Ärzte den Exitus bescheinigt haben, überlebten drei dank der guten Beobachtungen der Kriminalbeamten. Allein in einem Jahr haben wir insgesamt vier solcher Fälle gesehen. Eine Frau konnte gerettet werden. Wenn man sie ins Grab gelegt hätte, dann hätte man damit rechnen müssen, daß sie später darin aufgewacht wäre.“ Leicht grün um die Nase, bewegt den interessierten Laien die dringende Frage, ob solche Irrtümer auch in den Neunzigern noch vorkommen?!
„Ach, die Chancen stehen eins zu einer Million“, versichert ein befragter Bestattungsunternehmer optimistisch. Wer trotzdem befürchtet, als eben diese bedauernswerte Eins zu erwachen, wählt geschickterweise unter den zahlreichen Friedhöfen rechtzeitig einen, dessen Verwaltung ein offenes Ohr für spezielle Anliegen hat. Im Ermessen der Verwaltung liegt es nämlich, ob neben dem üblichen Ziergrün etwas so Ausgefallenes wie ein Klingelzug mit Glocke aus dem Grab ragen darf. Für die betuchtere Leiche in spe besteht mit etwas Glück die Möglichkeit, eine Gruft reservieren zu lassen. Die sich, wie die Geschichte zeigt, allemal für eine Auferstehung besser eignet als eine womöglich auch noch zugeschaufelte Grube in der Erde.
In jedem Fall sollten finale Sonderwünsche aller Art rechtzeitig mit einer Bestattungsfirma besprochen werden, die im Todesfall alles Weitere in die Wege leitet. Das Testament ist dazu denkbar ungeeignet, denn bis das eröffnet wird, ist der Verstorbene oft schon seit Monaten unter der Erde – und damit zweifellos mausetot. Michaela Behrens
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