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Wenn manche deutsche Politiker Englisch sprechen, kann es schon mal danebengehen. Zum Beispiel, wenn jemand eine „final solution“ fordertEin Mann sieht Roth

Unter Fremden

von Miguel Szymanski

Ein deutscher SPD-Minister kommt in ein Krisenland nach Südeuropa und verlangt in der Flüchtlingsfrage eine „Endlösung“. Er sagt es nicht auf Deutsch, er redet englisch. Er sagt: „final solution“. Immer wieder: „final solution“.

Ich sitze im Publikum. Meine deutschen Kollegen neben mir schauen ebenso verdutzt wie ich. Sind es nur sprachliche Patzer? Oder Anfälle eines klassischen Lapsus Linguae?

Der Politiker aus Berlin, der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, der im Ausland mehrmals von der Notwendigkeit einer „final solution“ für Flüchtlinge spricht, verfehlt den Überraschungseffekt nicht. Ich frage mich, ist der Staatsminister nur ganz harmlos on the woodway, auf dem Holzweg. Oder does he really spider, spinnt der jetzt komplett?

Im Zusammenhang ist wohlwollend zu erraten, was der Mann meint: Er benutzt den Ausdruck, um von der Notwendigkeit einer schnelleren Abwicklung der Asylverfahren der Flüchtlinge zu reden. Und: Roth kam im letzten Monat nach Portugal, um sich mit jungen Portugiesen zu treffen.

Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes liest man über den Auftritt in Lissabon: „Dort diskutierte Roth mit jungen Leuten über aktuelle europapolitische Fragen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten ihre zuvor in verschiedenen Gruppen erarbeiteten Vorschläge und Fragestellungen direkt dem Staatsminister präsentieren und mit ihm diskutieren.“

Ich saß im Saal und das Ergebnis war mehr als mager. Nichts als Worthülsen. Es gab keine Diskussion, keine Anregungen. Ich spürte Wut. Nicht wegen des Versprechers, welcher Natur er auch immer gewesen sein mag, freud­scher oder oder sonstiger. Wie naiv kann man sein?

Ich habe wieder einmal an die Mogelpackung geglaubt: Dia­logue on Europe. Das bedeutet so viel wie „Kamingespräch mit Minister Schäuble“. Oder: „Hilfsmilliarden für den Süden“, wenn „Bilanzstütze für Banken“ gemeint ist.

Ich hätte nur die Frage stellen müssen: Was will ein Karrierepolitiker zwischen jungen Menschen, die Ergebnisse ihrer eigenen eineinhalbstündigen Workshops auf Sekundarstufenniveau in kleinen Satzfragmenten auf Papiersprechblasen hätten schreiben und an eine Tafel kleben könnten?

Der Minister reiht Worte schmerzhafter Banalität und Leere aneinander. So wie es Politiker oft tun. Auch solche, die nicht – wie Roth – seit ihrem 28. Geburtstag im Bundestag sitzen und nur wegen des Fotos da sind.

Später sehe ich es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes: das Foto eines Politikers, der in dem Moment, als es gemacht wird, hohle Parolen drischt. Aber doch ein Foto: mit jungen Menschen aus einem Krisengebiet. Die jungen Menschen sitzen auf Stühlen. Der Politiker steht, den Mund offen, als würde er sprechen.

Aber er sagt nichts. Ist ja nur ein Foto. Ein Foto, das in die Zeitungen soll, auf die Webseite des Ministeriums. Der Minister und die Jugend im Krisenland. Die schaut neben ihm zu ihm auf. Sie muss zu ihm aufschauen. Der Minister steht.

Auf Anfrage der Organisatoren dieser Veranstaltung, eines linksliberalen Thinktanks aus Berlin, hatte ich 200 Namen von jungen portugiesischen „Vordenkern und Multiplikatoren“ vorgeschlagen, die an der Konferenz mit dem Minister in Lissabon teilnehmen sollten. (Für meine beratende Tätigkeit werde ich ein Honorar von 600 Euro bekommen.)

Als mich die netten und kompetenten Leute des Thinktanks um Feedback bitten, schreibe ich, dass die Veranstaltung am Dialogziel vorbeiging, inhaltlich leer und in der Präsentation mit dem Minister völlig verschult war. Den Auftraggeber dürfte ich los sein. (Was ein Südländer nicht alles tut, um nicht arbeiten zu müssen.)

Demnächst wird die Dialogsuche des Ministers ihn mit jungen Spaniern und Italienern zusammenbringen. Dann kriegt er weitere Fotos für sein Klebealbum.

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