■ Wenn in Bosnien aus dem Nichtkrieg eine dauerhafte Friedensordnung werden soll, muß schleunigst Geld her: Die schwache Seite von Dayton
Merkwürdig – wenn es um Bosnien geht, entdecken nicht wenige Politiker hierzulande zuallererst den General in sich. Gut ein Vierteljahr nach Unterzeichnung des Dayton-Abkommens stockt der sogenannte Friedensprozeß in Bosnien – und die deutsche Politik zeigt dieselben Reflexe wie vor Jahresfrist: Es beginnt eine Debatte über das Militär. Soll das Ifor-Mandat verlängert werden? Wie viele Soldaten sollen bleiben? Wer soll sich mit welchen Truppen daran beteiligen? Es ist eine gespenstische Debatte, die da entbrennt.
Braucht Bosnien Friedenstruppen für den Frieden? Ifor-Soldaten haben den Frieden nicht geschaffen. Sie sollen die Ausführung des Dayton-Abkommens überwachen. Doch Ifor kann nur überwachen, was die ehemaligen Kriegsparteien ohnehin freiwillig tun – etwa den Rückzug hinter die Demarkationslinie. Sie bleibt untätig, wenn sich die Beteiligten dem Friedensvertrag verweigern. Ob beim nur schleppend vorangehenden Gefangenenaustausch, bei der Verwüstung auszutauschender Gebiete, bei neuen Vertreibungen, Morden und Brandschatzungen wie in den Vororten von Sarajevo – Ifor beobachtet.
Das ist eine ernüchternde Bilanz. Und nun soll die Frage von Krieg und Frieden davon abhängen, ob Ifor länger bleibt. Es ist kurios: Die gleichen, die im Bundestag weiteres Morden prophezeiten, wenn die Nato – und mit ihr die Bundeswehr – nicht nach Bosnien ginge, verlangen jetzt kategorisch den Abzug nach einem Jahr.
Warum? Spätestens jetzt, da der Friedensprozeß stockt, ist offenkundig, daß der Abzugstermin von Anfang an ein politisches Datum war. Es gab nie wirklich einen Zusammenhang zur realen Entwicklung in Bosnien. Es gab und gibt dagegen einen sehr realen Zusammenhang zu den bevorstehenden Präsidentenwahlen in den USA. Und mit der Weigerung der Staatengemeinschaft, tatsächlich Verantwortung für Bosnien zu übernehmen. Wie sonst sollte man die Reduzierung der Debatte auf das Militärische erklären?
Es ist eine Debatte, die ablenkt von unserer wirklichen Verantwortung für Bosnien. Wer spricht inmitten der selbsternannten Generäle noch von Politik? Und wer vor allem spricht darüber, was Bosnien braucht, damit aus dem labilen Waffenstillstand ein Frieden werden kann? Weder braucht Bosnien ein gewaltiges Bundeswehrlazarett in Split, noch braucht das ausgeblutete Land frische Waffen zum Frieden. Bosnien braucht auch keine neue Flüchtlingswelle mit neuen Vertreibungen, die eine überstürzte Abschiebung der Flüchtlinge aus Europa zur Folge hätte.
Wir sind durch das zerstörte Land gereist, haben zerschossene Dörfer und verwüstete Felder gesehen. Wir haben mit vielen Menschen gesprochen – keiner hat nach mehr Militär verlangt. Nein, was Bosnien jetzt braucht, ist zivile Hilfe.
Ob aus dem labilen Waffenstillstand ein Frieden wird, der eine Versöhnung der Völker von unten ermöglicht, steht und fällt mit der Umsetzung des zivilen Teils von Dayton. Doch während seit März wieder die Einfuhr leichter Waffen erlaubt ist und im Juni das Waffenembargo vollständig aufgehoben wird, hat der zivile Wiederaufbau kaum begonnen.
Der Grund für das drohende Scheitern von Dayton liegt in Dayton selbst: Minutiös sind die Instrumentarien und Schritte zur Umsetzung des militärischen Teils festgehalten, für die zivile Seite bleiben sie dagegen zum Teil vage und unverbindlich.
Ein dramatisches Ungleichgewicht kennzeichnet die derzeitige Lage: 5,2 Milliarden Mark wurden für den Ifor-Einsatz locker gemacht, etwa 700 Millionen für die Bundeswehrmission. Für den zivilen Aufbau ist dagegen kaum Geld vorhanden. Von den von der EU für die ersten drei Monate zugesagten 754 Millionen Mark ist beispielsweise noch kein Pfennig geflossen. 7,5 Milliarden sind für den Wiederaufbau des Landes nötig. Erst jetzt will eine Geberkonferenz unter Beteiligung der Weltbank beraten, ob und wieviel die Welt zu geben bereit ist.
Sollen die Mittel erst fließen, wenn es für das Land längst zu spät ist, wenn gar der Krieg wieder begonnen hat? Jetzt müssen die Felder im überwiegend ländlichen Bosnien-Herzegowina bestellt und jetzt muß gesät werden. Jetzt brauchen die 1,5 Millionen Vertriebenen im Land, in Zenica, in Zentralbosnien und auch in Banja Luka Baumaterial, um die zerstörten Häuser, die Straßen und Schulen wieder aufzubauen. 60 Prozent der Lebensgrundlagen sind zerstört. Über drei Millionen Minen liegen überall im Land, nicht einmal die Hälfte ist bisher ausfindig gemacht.
Ja, die Menschen sind kriegsmüde – doch sie könnten trotzdem wieder zu den Waffen greifen. Es wird davon abhängen, ob sie eine Perspektive jenseits des Krieges sehen, ob sie ihre Häuser und Dörfer wieder aufbauen können, ob es wieder Arbeit geben wird. Dayton bot und bietet noch immer die Möglichkeiten für eine friedliche Reintegration. Die Idee von einem demokratischen und multikulturellen Bosnien ist noch nicht am Ende.
Wenn es allerdings noch gelingen soll, binnen Jahresfrist den Nichtkrieg in eine dauerhafte Friedensordnung zu führen, wenn aus dem Waffenstillstand von Dayton ein wirklicher Frieden werden soll, dann muß schnellstens nachgeholt werden, was bisher versäumt wurde: Bosnien braucht keine unsinnige Debatte darüber, ob das Militär länger bleiben soll oder nicht – Bosnien braucht jetzt alles, was für den Aufbau einer zivilen Gesellschaft erforderlich ist: Geld und Sachmittel für den Wiederaufbau des Landes. Wirklich demokratische Wahlen, bei denen auch und gerade kleine, nicht nationale Parteien eine Chance erhalten müssen. Unterstützung beim Aufbau unabhängiger Medien. Die schnelle Entsendung der zugesagten 1.721 Polizisten – von zugesagten 200 aus Deutschland sind gerade mal zwei(!) angekommen. Behutsame Rückkehrprogramme für die hier lebenden Flüchtlinge auf freiwilliger Basis – keine überstürzten Abschiebungen von Menschen in die Orte ihrer Folterknechte.
Und schließlich brauchen Minderheiten Garantien zu ihrem Schutz. Mutmaßliche Kriegsverbrecher wie Karadžić und Ratko Mladić müssen festgenommen werden.
Bosnien braucht dringend die Unterstützung und die Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Jeder neue Streit über Militäraktionen lenkt davon nur ab. Die Opfer solcher Scheindebatten sind die Menschen in Bosnien. Kerstin Müller
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