■ Wenn ein Krieg zum Schauspiel wird: Ruanda ist keine Naturkatastrophe!
Ruanda brennt. In wenigen Tagen sind Zehntausende von Menschen gestorben. Es ist eine Menschenjagd beispiellosen Ausmaßes: die Straßen werden systematisch durchkämmt, Handgranaten fliegen in die Häuser, wer hinausläuft, wird erschlagen oder niedergestochen. Auf dem Land geht ein Dorf nach dem anderen in Flammen auf. Ruanda stirbt.
Aber hierzulande interessiert nur eines: Was wird aus den paar hundert Deutschen im Land? Die Nachricht, daß elf Mitarbeiter der Deutschen Welle entgegen ersten Berichten am Montag doch noch nicht evakuiert waren, war der Deutschen Presse-Agentur eine „Eilmeldung“ wert, mit höherer Priorität als alle Berichte über Massaker und Grausamkeiten. Das Morden in Ruanda gefriert zur Kulisse für ein Hollywood- Drama. Als handele es sich um einen Vulkanausbruch. Als sei das Morden in Ruanda ein Naturzustand, als seien schwarze Afrikaner Wölfe unter Wölfen, als seien Frieden, Sicherheit und Menschenwürde nur für Weiße taugliche Begriffe.
Von der Fluchtpanik geprägte Eindrücke der Evakuierten dienen vielerorts als Ersatz für fundierte Recherche. „Wir wissen nicht, wer auf wen schießt“, oder: „Es ist ein unvorstellbarer Horror, eine völlig irrationale Pulsion, ganz außer Kontrolle“. Und wie in Bosnien oder Kurdistan gibt es eine ethnische Brille: Man verweist auf den angeblich „jahrhundertealten“ Konflikt zwischen „hochgewachsenen“, „nilotischen“ Tutsis und „kleinen“, „bantustämmigen“ Hutus – ein Stereotyp aus dem 19. Jahrhundert, das mit der Realität nichts zu tun hat. Die Tutsi-Hutu-Unterscheidung, die ja erst von den belgischen Kolonisatoren von einer simplen Abstammungskategorie zum Werkzeug der sozialen Ungleichheit gewandelt wurde, dient als Universalie eines „wilden Denkens“, die alles erklärt: „die sind eben so“.
Aber es gibt in Ruanda, wie überall, Täter und Opfer, Verantwortliche, die Befehle erteilen, und Untergebene, die sie ausführen. Daß Mitglieder der Präsidialgarde, einer von Frankreich hochgerüsteten und ausgebildeten Truppe aus gerade um die 700 Mann, für viele der Massaker direkt verantwortlich sind, ist belegt. Nun sieht die Weltöffentlichkeit aber plötzlich keine Parteien mehr, sondern nur noch Ruander – und, könnte man meinen, je weniger, desto besser. Der Konflikt muß ausbluten, hat die Times gefordert: Man könne Menschen nicht vom Töten abhalten. Als ob dieser Staat wie die anderen Länder Afrikas seine Sozialstruktur und seine ganze Existenz nicht einer europäischen Intervention namens „Kolonisierung“ verdanken würde, deren Folgen noch längst nicht überwunden sind. Eine Entschuldigung für das Morden ist das nicht. Sondern der schlichte Aufruf hinzusehen. Dominic Johnson
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