Wenn die Herd-Herde sich im Hinterhof sammelt : Der Fetisch eines Nachbarn führt nicht nur zu sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen
Für Nachbarn in ihrer Gesamtheit gilt dasselbe, was man Polizeischüler oder Bundeswehrrekruten zu Laufbahnbeginn gerne über ihre eigene Existenz lehrt: Sie sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es gibt rechte Nachbarn, linke, kleine, große, leise, laute.
Wenn ein Polizist auf einer Demo ungefragt zuhaut, dann nur, weil „in der Gesellschaft“ ein Pendant zu ihm existiert, das genauso handeln würde. Wenn mein Nachbar Herde sammelt, dann nur, weil es auch unzählige andere Herdsammler gibt auf dieser Erde. Vermutlich.
Zunächst hat die Sammelleidenschaft des kleinen Mannes mit der großen dicken Frau nur für einen Zugewinn an sprachwissenschaftlichem Spezialwissen gesorgt. Wer kennt schon den Plural von Herd? Für gewöhnlich steht in jeder Küche nur einer, was die sprachliche Spezifizierung der Mehrzahl schlichtweg nicht nötig macht. Erstmals benutzte ich den Herd-Plural, also Herde, als ich einem Bekannten erzählte, dass in unserem Haushof Herde stehen. Schon die Aussprache machte mich zögern. Mehrere Herde, um die 10 etwa, eine ganze Herd-Herde.
Wofür sammelt einer Herde? Ein Fetisch vielleicht? Wenn man Freud glauben darf, begehrt ein Fetischist Objekte als Ersatz für den fehlenden Penis der Mutter. Solche Objekte etwa, die just in dem Moment zugegen waren, als er im Kleinkindalter bemerkte, dass die Mutter kein Mann ist. Hat der Herdsammler das ausgerechnet in der Küche gemerkt? Nicht auszuschließen. Aber muss es gleich ein ganzer Herd sein?
Nun beschränkt er sich aber nicht auf das Horten von Herden. Genauso recht sind ihm Waschmaschinen, Fernseher, Stereoanlagen, jegliche Form von Unterhaltungselektronik, manchmal sogar Möbel, Kommoden, Schränke, gelegentlich Wäscheständer. Nach Freud ließe sich dieser vielfache Fetisch recht einfach erklären. Der kleine Mann ist in einer Einzimmerwohnung aufgewachsen, die voll gestopft war mit all diesen Sachen. Irgendwann sah er seine Mutter inmitten des Hausrats zum ersten Mal nackt.
Einiges erscheint nun klarer. Nicht aber die Rauheit der Menge, in der die Gegenstände regelmäßig in unserem Hof paradieren, bevor sie mit einem Schlag alle verschwunden sind. Herd-Fetisch, na gut. Aber gleich so viele? Hatte der Mann womöglich um die zehn Geschwister, alles Jungens, die alle im Laufe ihres Lebens von der mütterlichen Nacktheit nachhaltig geschockt wurden? Muss er die nun fetischistisch versorgen?
Ein Bekannter hat mir kürzlich eine andere, weniger freudkompatible, aber dennoch plausible Erklärung angeboten. Im Erdgeschoss seines Hauses sei ein Elektroladen. Da würden gebrauchte Geräte verkauft. Einen Herd hat er dort allerdings noch nicht gesehen.
JOHANNES GERNERT