Durchs Dröhnland
: Wenn der Zahn der Zeit am Gebiß sägt

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte

Sind das wirklich Panflöten? Hört sich jedenfalls so an. Wer dachte, die Dinger wären ausgestorben, wird von Kitaro eines Besseren belehrt. Der inzwischen im luftigen Boulder, Colorado, lebende Japaner ist einer der Pioniere von New Age, verknüpft er doch schon seit den siebziger Jahren Volksmusiken – und zwar nicht nur die seiner Heimat – mit den Ergüssen elektronischer Klangerzeugung. Dabei mag er sich über die Jahre quer durch die unterschiedlichsten Instrumentierungen gespielt haben, schlußendlich sind die Ergebnisse doch meist elegische, träge dahinfließende Besinnungsstücke. Das hat dem alten Kumpel von Tangerine-Dream-Kopf Klaus Schulze im Nebenberuf als Soundtrackkomponist immerhin schon einen Golden Globe und nicht weniger als fünf Grammy-Nominierungen eingebracht.

20.3., 20 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108–114

Irgendwie nicht mehr dasselbe ist es mit den Men They Couldn't Hang. Nicht, daß man nicht hin und wieder gern ein Guinness genußvoll zu sich nimmt und vielleicht sogar mal das Tanzbein schwingt, aber damals war man schon durchnäßt, wenn man nur die Nase ins gemeinschaftlich pogende und schwitzende Loft steckte. Nach der Gründung der Band 1984 gab es durch die Bank wundervoll pathetische Alben voller Hymnen, und nach der zwischenzeitlichen Auflösung hat man sich sogar wieder nahezu in Originalbesetzung zusammengetan.

Doch inzwischen hat auch der Furor der ungehenkten Männer, die seinerzeit eine Art Inbegriff des Folk-Punk abgaben, höchstselbst nachgelassen. Die letzten Aufnahmen bemühen sich zwar noch um den flotten irischen Stampfrhythmus, mit dem sie berühmt geworden sind, sind aber zu kaum mehr in der Lage, als Fußwippen auszulösen. Was irgendwie schade ist, aber wohl unvermeidlich. Der Zahn der Zeit sägt eben nicht nur an Shane McGowans Gebiß, bei dessen fast schon legendären Pogues der Men-Sänger Stefan Cush in der Steinzeit mal als Roadie arbeitete und dann beschloß, eine Band zu gründen.

20.3., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224

In klassischer Trio-Besetzung eifern Junesaw klassischen Trios nach. Bei Hüsker Dü oder den Wipers hat sich herausgestellt, daß die kleinste denkbare Rockproduktionseinheit meist auch die effektivste ist, und das kann man auch durchaus über die Berliner sagen. Natürlich ist ihr pompöser Rock, der gebaut ist vor allem aus gewaltigen Gitarrenwänden und kaum eine großmächtige Geste ausläßt, nicht gerade auf der Höhe der Zeit, aber zumindest in den amerikanischen Charts immer noch gut vertreten. Ihr Problem in nächster Zeit wird sein, den Unterschied zwischen Aerosmith und Pearl Jam zu erkennen und vor allem in der eigenen Musik deutlich zu machen. Aber jetzt gilt es erst mal, die Veröffentlichung des Debüts zu feiern.

21.3., 21.30, Schoko-Laden, Ackerstraße 169–170

An einem Sonntag, dem fünften Dezember 1976, gründeten sich 999. In London, wo sonst. Seitdem haben sie einen Haufen Punkrock-Platten veröffentlicht und noch viel mehr Punkrock- Konzerte gegeben, bei dem geradezu unglaublich viele Punkrock-T-Shirts durchgeschwitzt wurden und hektoliterweise Bier auf Punkrock-Frisuren ausgekippt wurde. Es war eine lange Karriere mit hohem Energieverbrauch, aber nicht unbedingt eine erfolgreiche. So richtige Hits hatten 999 keinen einzigen, aber dafür ein paar wirklich treue Fans. Das Punkrockrevival hat auch ihnen gutgetan, jetzt haben sie ein paar treue Fans mehr. So wird das jetzt wohl weitergehen bis ins nächste Jahrtausend und darüber hinaus.

24.3., 21 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176

Nach dem Erfolg von No Doubt war eigentlich damit zu rechnen, daß das Modell „Blonde Sängerin singt, und drei oder vier Jungs machen Musik“ wiederkehren würde. Während die Guano Apes die hardrockende Seite von No Doubt weiter explorieren, versucht sich der Artificial Joy Club zwar prinzipiell eher am Romantikrock und den poppigen Balladen des neuen Prototyps, hat aber auch ein paar knarzende Gitarren im Angebot. Das Quintett um Sängerin Sal machte noch als Sals Birdland zwei überaus erfolglose Indie-Platten, bevor es nun vom Major mit Macht auf den Markt gedrückt wird. Das alles sagt zum Glück nicht viel über die Musik aus, denn der Rock des Artificial Joy Club ist auch nicht schlechter als der der Vorgänger, und Sal hat sogar die leichten Kiekser in der Stimme, mit denen auch Gwen Stefani weibliche Empfindsamkeit markiert.

26.3., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz

So recht wollen sich Twirl nicht entscheiden, ob sie nun eigentlich Kabarett machen wollen. Sie spielen „Ring of Fire“ als Ska und dafür „Tutti Frutti“ als Reggae, behaupten, ihre Geige würde rappen, und haben überhaupt keinen Respekt vor irgendwelchen Genregrenzen. Die vier Rostocker sind dabei allerdings so gute Musiker, daß die meisten Versuche auch ohne den manchmal arg gewollten Witz funktionieren. Am schönsten dabei sind ihre melancholischen Balladen, bei denen im Hintergrund immer wieder mal ein wenig Jazz verrührt wird. Mal hören sie sich auch an wie Tom Waits, oder es wird rhythmisch gestöhnt wie bei Sexualverbrechers hinterm Sofa. Allzu oft rutschen Twirl in platte Parodien ab, und so wie die meisten Witze ist das eben nur einmal lustig.

26.3., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64

Thomas Winkler