: Wenn alle schlähfen
Revolutionäres Fernsehen in der Nische: Nachts auf superRTL, in einer interaktiven Live-Talkshow, lesen „Doris & Gerd“ Kurzmitteilungen vor
VON CHRISTOPH SCHULTHEIS
Es gibt so Orte in Deutschland, Zirndorf zum Beispiel oder Oberasbach, Torgau, Borken, Bopfingen oder Menden, Burthann, Feucht, Apfelbach, Benzingen, Wettmar, Beverungen, Döbeln, Uelzen, Hopsten, Hohenheim, Korbach oder Liebertwolkwitz, da hat, wenn’s dunkel wird, nur noch das Fernsehen geöffnet. Wer dann noch wach ist, könnte man (in Anlehnung an einen Rilke-Vers) behaupten, wird es lange bleiben. Doch anders als bei Rilke wird keiner „lange Briefe schreiben“, sondern allerhöchstens eine Kurzmitteilung – und sie ans Fernsehen schicken, ach …
Aber vielleicht muss man es anders erzählen, weniger trostlos, eher bunt und süß, wie eine Smarties-Reklame: Dann ist da zunächst superRTL, ein Nischensenderchen, Marktanteil: unter drei Prozent, tagsüber Kinderprogramm, abends Serien-Wiederholungen, nachts „FunNight“. Letztere findet bis sechs Uhr früh nach Senderangaben rund 70.000 Zuschauer. Und schaltet man zur rechten Zeit (Sa./So., ca. 1.30 Uhr) ein, dann „sitzen“ dort in einem niedlichen, komplett computergenerierten Ambiente zwei halbwegs antropomorphe Wesen mit Knopfaugen: „Doris“, eine Art Mädchen mit Zöpfen, und „Gerd“, eine Art Männchen. Mit einer automatisierten Computerstimme rezitieren sie pausenlos, was ihnen per SMS in den „Mund“ gelegt wurde. Ein halbes Dutzend Nachrichten schaffen die beiden pro Minute. Der Text wird eingeblendet wie auf Arte die Untertitel. Bisweilen erhöht das das Verständnis.
„Doris & Gerd“ heißt das äußerst merkwürdige Format und wird von der Münchner Firma FiveWorks hergestellt, die auch die restliche „FunNight“ auf superRTL mit eigenartigen Computerspielshows bestückt. Intern heißen „Doris & Gerd“, übrigens „Mike & Monica“, die Animationssoftware ist ein finnisches Lizenzprodukt, der Sprachgenerator ist schwedisch, aber ganz passabel, und weil – so wird es während der Sendung eingeblendet – „keine Kontaktdaten, URLs, Handynummern, Beleidigungen etc.“ veröffentlich werden, sitzt hinter den virtuellen Kulissen der „interaktiven Talkshow“ nachts ein Redakteur aus Fleisch und Blut, der die eingehenden Nachrichten filtert und gegebenenfalls umschreibt.
Immerhin ein paar hundert SMS pro Stunde schaffen es so auf den Bildschirm. Mindestens ebenso viele aber sind, laut Michael Werber, Geschäftsführer von FiveWorks, „nicht sendefähig“. Wie viele Mitteilungen (Stückpreis: 99 Eurocent) indes aus Zeitgründen ungesendet bleiben, will Werber, der selbst gelegentlich die nächtliche SMS-Spreu aussortiert, nicht verraten. Transaktionsfernsehen wie die „FunNight“ ist ein ebenso einträgliches wie verschwiegenes Geschäft, ein Wachstumsmarkt. Der „Mitmachsender“ NeunLive finanziert sich schon jetzt überwiegend über die Handyrechnung seiner Zuschauer. Und günstiger als mit Call-in- und SMS-Shows lässt sich Sendezeit kaum füllen, schon gar nicht nächtens in der Nische – selbst wenn die Erlöse bei FiveWorks etwa „eher vierstellig“ seien, wie Werber sagt. Wobei den FiveWorks-Chef im Hinblick auf weiterentwickelte, seriösere Projekte aber auch interessiert, „inwieweit die Zuschauer in der Lage sind, selbstständig am Bildschirm ein Gespräch zu führen“.
Die Kurzmitteilungsschreiber bei superRTL sind davon noch weit entfernt. Noch ist der SMS-„Talk“ ein großes strukturloses Aneinandervorbeireden, in dem die seltsamen Computerwesen lauter Sätze über Opel Astras oder Bayern München aufsagen – und über die Liebe: „ich liebe dich über alles“ ist die häufigste Botschaft, die irgendein „Schatzi“ seinem „Knuddelbärchen“ via TV-Bildschirm mitteilt. „Grüße an alle Zirndorfer“ usw. sind auch beliebt. Laut Werber nutzen 80 Prozent der SMS-Absender sein interaktives Angebot noch wie bei anderen Sendern, die solche Handy-Botschaften gern als Endlosspruchband ins laufende Programm blenden.
Manchmal aber finden sich zwischen den somnambulen Selbstvergewisserungen auch irrwitzige Zungenbrecher, Klosprüche, Poesie: „wer andern eine bratwurst brät, der hat ein bratwurstbratgerät“. Gelegentlich wird die Show sogar zum Rollenspiel: „Doris, hol mir mal ne Flasche Bier!“, muss „Gerd“ dann sagen, oder es hadert „Doris“ mit den Tücken des Sprachgenerators bzw. mit dem Wörtchen „schlafen“: „Ich kann nicht schlähfen sagen: schlähfen, schlähfen, schlähfen …“, heißt es dann, weil es der Zuschauer so will. Das ist schon lustig, kreativ und immerhin ein Anfang.
Ganz selten wird das Format auch zweckentfremdet. Dann wird sich auf superRTL schlicht für den nächsten Tag auf den Kornmarkt von Zwickau oder an der Ansbacher Aral-Nachttanke verabredet – in der vagen Hoffnung, dass es sogar in Deutschlands Sackgassengegenden Sinnvolleres gibt, als für 99 Cent pro Nachricht Zeit totzuschlagen.