: Wenn Doktor Dietrich einmal laut nachdenkt
■ Lübecker Frauenarzt wird bei Embryonen-Experiment zurückgepfiffen
Vor kurzem platzte der Leiter der Universitäts-Frauenklinik Lübeck, Professor Klaus Dietrich, mit einem aufsehenerregenden Plan heraus. Er wolle, so setzte der renommierte Retorten-Papst in die Welt, im Reagenzglas künstlich befruchtete Eizellen im Achtzellstadium auf Erbkrankheiten hin untersuchen, um anschließend nur gesunde Embryonen in die Gebärmutter einzupflanzen. Bevor er diesen Plan in die Tat umsetze, werde er sich allerdings, versprach der Erbgut-Prüfer in spe, bei der Ethik-Kommission der Uniklinik und der Kieler Landesregierung über die „ethische und juristische Zulässigkeit“ rückversichern.
Das scheint nicht nötig. Denn Dietrich weiß genau, daß sein Vorhaben ungesetzlich ist. Birgit Sitepu, Referentin für Fortpflanzungsmedizin im Kieler Gesundheitsministerium, stellt klar: „Das Embryonenschutzgesetz verbietet eine solche Präimplantationsdiagnostik eindeutig.“ Nach dem Gesetz würde Dietrich für seine Diagnose mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren belohnt werden.
Auch die Berufsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein untersagt „diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe“. Richtlinien, die Dietrich natürlich genau kennt. „Professor Dietrich hat nur laut gedacht“, spielt Birgit Sitepu die Pläne des Frauenarztes herunter. In einem Brief an die Kieler Wissenschaftsministerin Marianne Tidick habe Dietrich inzwischen bestätigt, daß er seine Gedankenspiele in naher Zukunft nicht in die Praxis umsetzen werde. Hinter dem verbalen Vorstoß Dietrichs steckt somit vor allem ein kalkulierter Tabubruch mit dem Ziel, die Grenzen, die das Embryonenschutzgesetz forschungsfreudigen Fortpflanzungsmedizinern steckt, aufzuweichen.
Schon seit Jahren klagt Dietrich auf Fachtagungen darüber, daß die gesetzlichen Rahmenbedingungen „zwar erlauben, einen erbkranken Embryo abzutreiben, nicht aber, eine künstlich befruchtete Eizelle auf Erbschäden zu untersuchen“. Eine künstliche Befruchtung mit abschließendem Schwangerschaftsabbruch könnte bei frühzeitiger Erbgutuntersuchung vielfach vermieden werden, weiß der Mediziner. Zudem könnte ein „Fruchtbarkeitstourismus“ in Länder wie Belgien oder England vermieden werden, wo die in Deutschland verbotene „Präimplantationsdiagnostik“ längst erlaubt ist.
Doch das Verbot hat gute Gründe: Die KritikerInnen der Genanalyse von befruchteten Eizellen befürchten ein technisch verfeinertes Comeback einer „Erbgesundheitslehre“, die im Nazi-Deutschland ihre grausamen Blüten trieb. Ist die Präimplantationsdiagnostik erst einmal erlaubt, verschwimmen schnell die Grenzen zwischen „krank“ und „gesund“, lebenswert und lebensunwert. Auch Dietrich wird hier schwammig: „Bei der Präimplantationsdiagnostik darf es nicht um die Erfüllung des Wunsches nach einem gesunden Kind gehen, sondern nur darum, schwere genetische Erbkrankheiten zu vermeiden“, diktierte der Mediziner der Zeitung Woche in die Feder.
Was Dietrich will, aber, um gesellschaftliche Akzeptanz bemüht, vorsichtig formuliert, sprechen andere Fortpflanzungsmediziner deutlicher aus. So träumt der australische Retortenpionier Carl Wood davon, daß es mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik „in Zukunft eine viel gesündere, langlebigere Rasse“ geben wird.
Das Plädoyer für die frühzeitige Genanalyse ist nicht Dietrichs erstes Gedankenspiel in Richtung Selektion durch die Fortpflanzungsmediziner. Im vergangenen Jahr brach er bereits eine Lanze für die umstrittene Mikroinjektion. Mit ihr wird im Rahmen einer künstlichen Befruchtung ein einziges vom Mediziner ausgewähltes Spermium in eine weibliche Eizelle injiziert und die natürliche Samen-Konkurrenz so ausgeschaltet. Doch auch mit diesem Vorstoß biß Dietrich bei Schleswig-Holsteins PolitikerInnen bislang auf Granit. Denn das Kieler Gesundheitsministerium setzt sich „für ein entschiedenes Verbot der Mikroinjektion“ ein. Marco Carini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen