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Archiv-Artikel

Wenn Beethoven heute lebte …

betr.: „Jeden kann es erwischen“

Ich habe mich selten über einen Artikel so geärgert wie über diesen. In Ihrem Artikel stellen Sie den Sachverhalt in meinen Augen außerordentlich verharmlosend und unreflektiert dar. Sie erwähnen zwar die hohe Anzahl Strafverfahren, aber mit keinem Wort, dass unsere Gerichte durch diese Form des Strafverfahrenpamps zum Teil lahmgelegt werden und dadurch ihre eigentlichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können.

Sie erwähnen ebenfalls nicht, dass jeder Käufer von PC-Elektronik, Datenträgern etc. in Deutschland eine sogenannte Urheberrechtspauschale entrichten muss. Als Ausgleich für diese Pauschale wurde jetzt die Möglichkeit der Privatkopie faktisch verboten. Ebenfalls unerwähnt bleibt, in welch ausuferndem Maße die Contentindustrie Lobbyarbeit betreibt und dabei zum Teil maßgeblich die Politik und Gesetzgebung in Deutschland bestimmt. Es ist unerträglich, welche Gängelungen, Freiheitseinschränkungen etc. von der Politik beschlossen werden, um einer sterbenden Industrie entgegenzukommen. Des Weiteren ist die Urheberrechtsproblematik nicht auf Musik beschränkt. Im Bereich der wissenschaftlichen Literatur gibt es zum Teil noch schlimmere Auswüchse.

Auch die jüngst in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung und der bereits angedachte zivile Auskunftsanspruch für Rechteinhaber zeigen die Richtung, in die es gehen wird. Im Moment werden diese Ansinnen zwar (noch?) massiv dementiert, aber die Entwicklung bei den erfassten Daten der Autobahnmaut spricht Bände. In hohem Maße sind diese Entwicklungen, die mit und vielleicht sogar maßgeblich von der Urheberrechtsindustrie angestoßen wurden, dafür verantwortlich, dass in diesem Land Kunden nicht mehr als Kunden und Bürger nicht mehr als Bürger, sondern potenzielle Verbrecher gesehen werden. All dies, geschmacklose Werbekampagnen der Filmindustrie etc. gehören in einen solchen Artikel.

Was mir in diesem Artikel ebenfalls gefehlt hat, sind die Stimmen der zahlreichen Verbände und Initiativen, die gegen diese Zustände ankämpfen. Zwar wurden die Zahlen der Musikindustrie im Artikel relativiert, aber es gibt auch andere Studien und Zahlen, die es wert gewesen wären, zitiert zu werden. Es ist zudem so, dass Kreativität eben auch vom Zugang zu Informationen abhängt und für ein erfolgreiches Arbeiten unerlässlich ist. Schon Beethoven hat in seinen Symphonien als Motiv Heurigenlieder verarbeitet, man stelle sich die gerichtlichen Auseinandersetzungen vor, würde er heute leben.

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch der Begriff des Fair Use. Eine kürzlich erschienene Studie für Amerika hat ergeben, dass dessen Nutzen für eine Volkswirtschaft sehr hoch ist und der Schaden durch restriktive Copyrightpolitik immens. Die vorgeschlagen Sperrung durch Provider bei sogenannten illegalen Downloads schließlich ist nur eines, nämlich Zensur. Wer entscheidet, was illegal ist? Eben. FRANK P. DIETRICH, Stuttgart