Weltwirtschaft usw.: Grober Keil
■ Siegfried Kohlhammer antwortet Elmar Altvater
In der taz vom 6.11. setzte sich Elmar Altvater mit dem „Merkur“-Band „GegenModerne? Fundamentalismus, Multikulturalismus und Moralische Korrektheit“ auseinander. Vor allem nahm er Siegfried Kohlhammers Aufsatz „Leben wir auf Kosten der Dritten Welt? Über moralische Erpressung und Edle Seelen“ ins Visier. Ihm und anderen „Realtheoretikern“ wirft Altvater im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Dritten Welt vor, mit Hilfe von Daten traditionell westliche Auffassungen zu stützen: „Jede Gesellschaft und jeder Mensch in ihr könnte ja europäische Standards realisieren, wenn beide nur lernfähig wären. Kein Anlaß für Migrationsströme also.“ Altvater stellt Kohlhammers Aufsatz damit polemisch in den Zusammenhang der Asyldebatte. Kohlhammer reagierte mit einem Brief an die taz-Redaktion.
Wenn Religionen und andere weltdeutende und sinnstiftende Denkgebäude zu zerbröseln beginnen, geraten deren Hohepriester, Verwalter und Nutznießer in helle Aufregung: blutrote Kometen oder Ozonlöcher, Fremdenfeindlich- oder -freundlichkeit (Welschtümelei, Amerikanisierung), verschärfter Schampus- oder FCKW-Konsum werden als Folgen des Abfallens von Der Lehre und drohende Zeichen gedeutet, uns zur Umkehr zu bewegen. Dem „Faszinosum empirischer Daten“ und den Verführungen theoretischer Promiskuität gilt es zu widerstehen: just say ,no‘! beschwören sie uns.
In seiner Rezension des Merkur-Bandes „GegenModerne“ in der taz vom 6.11.92 beschäftigt sich Elmar Altvater v.a. mit meinem Artikel; von den insgesamt 20 Autoren wird einzig noch Harald Scherf erwähnt, und Senghaas kriegt eins auf die Nuß, obwohl er keine Zeile in dem Heft geschrieben hat: Autor Altvater – entfesselt. Nun ist das ja einerseits erfreulich für mich, vielleicht komm ich so ins Fernseh', andrerseits lobt Altvater meinen schönen Artikel nicht etwa, nein, sehr barsch und bös wird dieser niedergemacht, daß Gott erbarm. Und nicht nur mein Aufsatz, sondern ich gleich mit, als Ausländerfeind und Asylantenschänder. „Kohlhammers Artikel kann durchaus auch als Beitrag zur Asyldebatte gelesen werden.“ Kann er – er kann auch als Beitrag zur Frage ,wie bastle ich mir ein Ozonloch im Kopf‘ oder ,eine ganzheitliche Antwort auf das Haarausfallproblem‘ gelesen werden. Ich will dann aber keine Klagen hören, wenn es nicht geklappt hat.
Zu meinen Ausführungen fällt Altvater nichts Gescheites ein, am wenigsten noch zu dem Argument, daß die Beispiele der NICs (Taiwan, Singapur...) zeigten, wie auch unter den Bedingungen kapitalistischer Weltwirtschaft erfolgreiche Entwicklung möglich sei. Altvater findet es unrecht, die Leute „mit den dicksten Zwiebeln“ zu loben und die anderen zu „tadeln“. Aber die Dependenz- u.ä. Theorien hatten ja die These vertreten, daß auf dem Boden der Entwicklungsländer wegen Ausbeutung und Marginalisierung prinzipiell nichts wachsen könne – daß da nun an etlichen Stellen dicke Zwiebeln wachsen, sollte doch auch den dümmsten Bauern zu denken geben.
„Kritik, Systemkritik gar“ vermißt Altvater jedoch ansonsten schmerzlich in dem Merkur-Heft – dabei wird dort kritisiert nach Strich und Faden: Fundamentalismus und falscher Fundamentalismusbegriff, politische Korrektheit und Ethno-Ideologien, kleptokratische Drittweltsysteme usw. usf. Aber nein: gilt nicht. Was Kritik ist, die wahre, das entscheidet der Heilige Stuhl.
Ein fugendicht korrektes Weltbild läßt Altvater auch sein einziges diskutables Gegenargument verschenken (Ungeschick! – vielleicht ist er auch nicht ganz sicher: Daten! da ruht kein Segen drauf!), ob nämlich nicht mittlerweile der Schuldendienst der Entwicklungsländer „die ursprünglich einmal gezahlte Hauptsumme des Kredits übersteigt“, was einen Nettotransfer = Ausbeutung darstellte; aber das sei „einigermaßen unerheblich“. Kapitalismus bedeute Ausbeutung, und da die „reichen Weltregionen“ kapitalistisch sind... („Das ist“ – wie Altvater selbstkritisch anmerkt – „der klassische Zirkelschluß: was zu beweisen war, steckte bereits in der Definition.“) In dieser kapitalistischen Nacht, in der alle Katzen grau sind, ist es in der Tat unerheblich, noch mal in der real world nachzuschauen oder Daten zu bemühen.
Bei der offenbar unaufhaltsamen Entwicklung des Marxismus von einer kritischen ökonomischen Theorie zu einer moralischen Verwahranstalt und einem ganzheitlichen Feuchtbiotop hat die gedankenlose Anwendung des Begriffs ,Ausbeutung‘ sicher auch eine Rolle gespielt. Was bei Marx ein präzis definiertes Verhältnis von Kapital und Arbeitskraft war, wurde zu einer immer vageren Metapher. Im Fall der ,Ausbeutung der Dritten Welt‘ schon war diese Übertragung, trotz beachtlicher Anstrengungen, nicht gelungen; inzwischen haben wir die sexuelle Ausbeutung, die Ausbeutung von (Labor-)Tieren und (Haus-)Frauen incl. Mutter Gaia – you name it. Was dabei an Präzision und kritischer Potenz verlorenging, wurde durch Gesinnung und Geschwafel wettgemacht.
Daß auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, mag ja stimmen, und daß Altvaters Rezension ein grober Keil ist, will ich nicht bestreiten. Aber daß meine sorgfältig recherchierte, geistreich argumentierende und elegant geschriebene Arbeit ein grober Klotz ist – das, Altvater!!!, glauben Sie doch selber nicht. Siegfried Kohlhammer
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen