piwik no script img

Weltmeistertitel als SprungbrettDer Anti-Fluch der 1990er

Lastet auf ihnen tatsächlich ein Fluch? So ein Quatsch! Kein Team hat es so wie die Weltmeister von 1990 geschafft, sich in Fußballdeutschland zu etablieren.

Pierre Littbarski, Weltmeister von 1990 und nun Trainer beim VfL Wolfsburg. Bild: dapd

Im Zusammenhang mit dem neuen Wolfsburger Interimstrainer Pierre Littbarski wird wieder einmal auf das bedauernswerte Schicksal der Weltmeister von 1990 hingewiesen, die sich kaum in der Bundesliga hätten etablieren können. Manche versteigen sich zu der These, auf ihnen laste ein "Fluch". Das trifft allenfalls auf Lothar Matthäus zu, der unter dem Fluch leidet, Lothar Matthäus zu sein. Ansonsten handelt es sich um einen klaren Fall von "Confirmation Bias". Das meint die menschliche und journalistische Neigung, Informationen so zusammenzusuchen, dass sie der eigenen These entsprechen.

Richtig ist, dass außer Littbarski derzeit nur Rudi Völler als Sportchef von Bayer Leverkusen einen herausgehobenen Job in der Liga hat. Richtig ist auch, dass die wichtigsten Positionen in der medialen Fußballgesellschaft nach wie vor von 74-Weltmeistern eingenommen werden, also von Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer und Günter Netzer. Dazu kommen Jupp Heynckes (Trainer in Leverkusen) und Wolfgang Overath (Präsident des 1. FC Köln), und, wenn man regelmäßige Teilnahme an "Waldis Stammtisch" auch als wichtige Funktion sieht, Paul Breitner. Eine langjährige Arbeit als Trainer oder Funktionär in der Liga haben nur Beckenbauer, Hoeneß und Heynckes (und zeitweise Hölzenbein). Von den Weltmeistern von 1954 spielte später keiner in der Bundesliga eine Rolle.

Es ist andersherum: Kein deutsches Weltmeisterteam hat es wie die 90er geschafft, mit Littbarski nun schon den sechsten aktiven Endspielteilnehmer auf einen (temporären) Cheftrainerposten zu hieven. Dazu kommen zwei Sportdirektoren (Stefan Reuter, Thomas Berthold), ein Zweitligatrainer (Guido Buchwald), ein Bundesliga-Techniktrainer (Thomas Häßler) und eben die Sonderfälle Bodo Illgner (wollte nicht) und Matthäus.

Dass sie sich nicht dauerhaft etabliert haben? Einige sind dafür schlicht nicht geeignet, so, wie auch Fritz Walter und Helmut Rahn oder Maier, Müller und Grabowski nicht geeignet gewesen wären. Durch den Weltmeistertitel bekamen die 90er immerhin die Chance. Ansonsten gibt es eben nur 18 Erst- und 18 Zweitligajobs als Trainer: Bei zweimaligem Misserfolg rutscht jeder aus der Heavy Rotation. Und: Zwar spielen das Image und der Mythos bei der Einstellung von Trainern immer noch eine zu große Rolle, aber mittlerweile trauen sich immer mehr Klubs, befähigte Anwärter einzustellen und nicht nur Prominente.

Konzepttrainer ohne Länderspielpedigree wie Ralf Rangnick, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Robin Dutt, Holger Stanislawski können in nächster Zeit weiterhin mit Anstellungen rechnen. Und wenn selbst Overath zu der Erkenntnis kommt, Volker Finke als Sportdirektor einzustellen, muss man davon ausgehen, dass Kompetenz demnächst auch bei Managern flächendeckend verlangt wird. Zumindest jenseits von Stuttgart.

Was die Weltmeister von 1990 angeht, so sollte man eines nicht vergessen: Einer von ihnen war zwar nur ein knappes Jahr in der Bundesliga und hat den FC Bayern München nicht revolutioniert. Dafür hat er den deutschen Fußball transformiert. Wie unser Nationalteam heute spielt und wie wir es sehen, verdankt sich der Initiative von Jürgen Klinsmann. Das hat, bei allem Respekt, Franz Beckenbauer weder mit dem WM-Gewinn als Spieler 1974 noch mit jenem als Trainer 1990 geschafft.

Was Littbarskis Zukunft in Wolfsburg angeht, darf man daran erinnern, dass der VfL vor fünf Jahren vor der Wahl stand: Klaus Augenthaler oder Rangnick? Damals wollte man den "Weltmeister" und nahm Augenthaler.

Es ist nie zu spät, dazuzulernen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • MV
    Mork vom Ork

    1990 hat Fredi Bobic beim TSF Ditzingen gespielt, in der Oberliga oder so.

  • E
    elmar

    wie doof, dass ich nie weltmeister war. ich würde auch gerne auf der titelseite der bildzeitung drauflos-seiern, wenn ich mein girlfriend gekippt habe! das cool aber dazu muss man weltmeister sein" schluck!!!!

  • M
    Mike

    Hey, was hat Unfried gegen Bobic? Gib ihm eine faire Chance!