Weltklimakonferenz in Genf:: Das Debakel ist vorprogrammiert
■ 700 Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt sollten die Politik auf Sofortmaßnahmen zur Eindämmung der Klimakatastrophe einschwören. Doch ihre Schlußerklärung gleicht eher einem Freifahrschein ins Treibhaus Erde. Die Vorgabe der Klima-Experten verpflichtet die Umweltminister aus 100 Ländern auf ihrer heute beginnenden Konferenz zu gar nichts.
Was ist eigentlich die Funktion einer Schlußerklärung, die in jedem zweiten Absatz betont, es lägen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor? Ich dachte, wir sollten den Regierungen eindeutige Handlungsempfehlungen geben.“ Es war am Samstag abend, als nach Stunden chaotischer Diskussionen am Ende der sechstägigen Beratungen ein indischer Meteorologe endlich auf den Tisch des Genfer Konferenzzentrums schlug. „Besser aus weitgehend gesicherten Erkenntnissen zur rechten Zeit Konsequenzen ziehen als aus hundertprozentigen Wahrheiten zu spät“, unterstützte ihn ein Experte aus Tansania.
Doch da war es längst zu spät. Die 700 — zu 98 Prozent männlichen — Wissenschaftler blieben in ihrem Elfenbeinturm. Von den Beratungen im Rahmen der „Zweiten Weltklimakonferenz“ geht kein klares Signal, geschweige denn Druck auf die 100 Regierungschefs und Umweltminister aus, die morgen an gleicher Stelle praktische Maßnahmen angesichts der globalen Erwärmung erörtern wollen. Die geschickte Strategie derjenigen Staaten, die konkrete Vereinbarungen zur Reduzierung der Treibhausgase vermeiden wollen, setzte sich durch. Befördert wurde die Blockadeposition noch durch die Eitelkeiten der beteiligten Experten und der Konkurrenzsituation zwischen den veranstaltenden bzw. teilnehmenden UNO-Organisationen.
Die aus Vertretern verschiedener Weltregionen bestehende Konferenzleitung hatte einen sorgsam austarierten Kompromißentwurf für die Schlußerklärung vorgelegt, der allerdings bereits weit hinter dem Erkenntnisstand am Beginn der Tagung zurückblieb: Die im Auftrag der beiden Konferenzveranstalter Weltmeteorologieorganisation (WMO) und UNO-Umweltprogramm (UNEP) in zweijähriger Arbeit von 150 Experten erstellte Studie der „Zwischenstaatlichen Expertenrunde Klimawechsel“ (IPCC) nennt klare Zahlen. Soll die Konzentration von Spurengasen in der Atmosphäre und damit die globale Temperatur auf dem derzeitigen Niveau stabilisiert werden, muß die Emission von Kohlendioxid (CO2) umgehend um 60 Prozent reduziert werden.
Der Entwurf der Schlußerklärung enthielt keine mit konkreten Prozentzahlen und Fristen versehene Reduzierungsforderung mehr. Erwähnt wird lediglich, daß „in allen Ländern technisch machbare und kostenneutrale Möglichkeiten zur Reduzierung von C02-Emissionen bestehen“. „Zahlreiche Untersuchungen“ hätten ergeben, daß „diese Möglichkeiten ausreichen, um in den meisten Industrieländern den CO2-Ausstoß zunächst zu stabilisieren und dann bis zum Jahr 2005 um mindestens 20 Prozent zu verringern“.
Selbst diese zaghaften Formulierungen versuchten Vertreter vor allem aus den USA und der UdSSR am Samstag abend noch zu verwässern. Auch die Feststellung, wonach die „Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und der globalen Erwärmung“ sowie die „anderen Schlußfolgerungen der IPCC-Studie den internationalen Wissenschaftskonsens zum Thema Klimawechsel widerspiegeln“, ging ihnen zu weit.
Wie die endgültige Erklärung aussehen wird, wußte am Ende der Beratungen nicht einmal die Konferenzleitung. Eine Abstimmung fand nicht statt. Mit der endgültigen Formulierung der umstrittenen Passagen wurde unter anderen der sowjetische Delegationsleiter betraut — ein energischer Verfechter der These vom Mangel gesicherter Erkenntnisse und den positiven Auswirkungen der Klimaveränderungen u.a. für den Gemüse- und Obstanbau in Sibirien. Die Abschlußpressekonferenz wurde kurzerhand von Samstag abend auf Sonntag nachmittag verschoben.
Systematische Verwässerungsstrategie
Unklar blieb auch der Status der Wissenschaftlererklärung. Soll sie morgen ganz oder in Auszügen den Regierungschefs und Umweltministern vorgelegt werden? Oder der UNO- Vollversammlung, die noch im Dezember eine inhaltliche Vorgabe für die für Februar 1991 in Washington anberaumten formellen Verhandlungen über eine Weltklimakonvention beschließen will? Niemand wußte eine Antwort. Der deutsche Klimaforscher Hartmut Grassl, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, äußerte sich enttäuscht über den Konferenzverlauf. In Genf habe lediglich ein „schlechtes Widerkäuen des IPCC-Berichtes stattgefunden“. „Die harten Fakten“ seien „weich und manchmal diffus dargestellt“ worden. Er habe nur „wenige Dinge gehört“, die er „bisher nicht schon wußte“.
Die bei der Weltklimakonferenz anwesenden Umweltorganisationen gehen in ihrer Kritik weiter. Für sie ist der Konferenzverlauf Ergebnis einer gezielten Strategie. Jeremy Legget, wissenschaftlicher Direktor von Greenpeace Großbritannien: „Was wir hier erlebt haben, ist ein Prozeß systematischer Verwässerung der im IPCC-Bericht zusammengetragenen wissenschaftlichen Erkenntnisse durch eine unheilige Allianz der drei führenden ölproduzierenden Länder USA, UdSSR und Saudi-Arabien.“ Unterstützt von — in Genf ebenfalls teilnehmenden — Vertretern des Ölkonzerns Exxon sei es diesen drei Staaten gelungen, in zahlreichen Dokumenten die „pauschale Behauptung mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse“ unterzubringen. So werde z.B. die differenzierte Feststellung der IPCC-Studie, wonach möglicherweise auch in den nächsten zehn Jahren noch keine eindeutigen Auswirkungen der globalen Erwärmung nachweisbar seien, dazu „mißbraucht, jegliche Gegenmaßnahme für weitere zehn Jahre zu verschieben“.
Gestützt wird diese Analyse durch den bisherigen Verlauf der Vorberatungen für die am Dienstag beginnende Tagung der Regierungschefs und Umweltminister. Im Genfer UNO-Palast verhandeln seit Samstag Beauftragte der 100 Teilnehmerstaaten hinter verschlossenen Türen über den Wortlaut einer Schlußerklärung. Offizielle Beratungsgrundlage ist ein Entwurf des UNO-Sekretariats, in dem die „Stabilisierung“ der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2000 und nachfolgende Reduzierungen um bis zu 20 Prozent vorgesehen sind. Daneben existieren ein weitergehender Vorschlag Norwegens und ein Gegenpapier der USA, in dem jede Vereinbarung über konkrete Maßnahmen ausdrücklich abgelehnt wird. Gemeinsam bemühen sich die Delegierten aus Washington, Moskau und Riad — zum Teil unterstützt von den Vertretern Japans und Kanadas —, den UNO-Entwurf von allen Konkretionen zu säubern. Die EG- Staaten, die noch letzte Woche eine Stabilisierung der Emissionswerte bis zum Jahr 2000 (Großbritannien: 2005) auf dem heutigen Niveau vereinbart hatten und wie z.B. die Bundesrepublik oder die Niederlande noch weitergehende nationale Zielplanungen beschlossen haben, erhoben bis gestern dagegen keinen Protest. Es wird in Genf nicht mehr ausgeschlossen, daß die Zwölfergemeinschaft morgen eine Erklärung mitträgt, die weit hinter ihre eigene Beschlußlage zurückfällt — um eine Isolierung der USA zu vermeiden. „Ein solcher Kompromiß bedeutete de facto, daß auf absehbare Zeit nichts geschieht“, erklärten in Genf Vertreter der beiden US-Organisationen „Sierra Club“ und „Union of Concerned Scientists“ (UCS).
Die US-Organisationen lieferten in Genf die schärfste Kritik an der Bush-Administration. Deren Haltung sei „rein ideologisch und auch aus ökonomischen Gesichtspunkten äußerst kurzsichtig“, erklärte UCS- Sprecher Aldon Meyer. Zahlreiche Studien — zuletzt die während der Konferenz vom „World Wildlife Fund/US-Sektion“ veröffentlichte — belegten, daß CO2-Reduzierungen auch in den USA kostenneutral möglich und langfristig sogar von Vorteil für die Volkswirtschaft seien. Durch Energieeinsparungen erreichte Verringerungen des CO2- Ausstoßes um 20 Prozent brächten Einsparungen von bis zu 70 Milliarden Dollar jährlich. Sierra-Club- Vertreter Dan Becker: „Die US-Industrie — vor allem im Bereich von Öl, Kohle und Automobil — blickt nur auf die kurzfristig anfallenden Umstellungskosten statt auf die langfristigen Vorteile, die in der Entwicklung umweltfreundlicher und energiesparender Technologien liegen. Dafür gibt es weltweit wachsende Absatzmärkte. Auf diesem Gebiet wird der Vorsprung der Japaner, Deutschen und anderer westeuropäischer Staaten immer größer.“
FAO leistet Bremspolitik der USA Vorschub
Willkommene Unterstützung erhielt die Bremserstrategie Washingtons in Genf von der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO). Deren in einer Studie verbreitete Behauptung, die „Gesamtauswirkung“ der globalen Erwärmung auf die Weltlandwirtschaft sei „positiv“, führte nicht nur in einer führenden deutschen Tageszeitung zu der Schlagzeile „UNO-Experten begrüßen Klimawechsel“. Die FAO leistete damit dem von den USA geschürten Eindruck vom Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen und übereinstimmenden Bewertungen des Treibhauseffekts kräftig Vorschub (s. Interview).
Die Debatten der Konferenz waren deutlich von Nord-Süd-Gegensätzen geprägt. Der weltweite Kohlendioxidausstoß wird derzeit zu 75 Prozent in den Industrienationen erzeugt. In der Summe aller Emissionen seit Beginn der Messungen sind es sogar 90 Prozent. Die Dritte- Welt-Staaten bestehen auf einer ausdrücklichen Anerkennung dieser Verantwortung des Nordens für die globale Umweltbelastung. Äußerungen von westlichen Experten, wonach die wesentliche Ursache heute im Bevölkerungswachstum des Südens und dem entsprechend steigenden Energieverbrauch liege, wurden entschieden zurückgewiesen. Hinsichtlich der Bereitschaft zu Emissionsbegrenzungen gibt es allerdings deutliche Unterschiede. Manche Entwicklungsländer sind zu Maßnahmen entlang der EG-Position bereit. China, Indien und Brasilien bestehen jedoch aus Sorge vor einer Behinderung eigener industrieller Entwicklung auf der Festlegung regional unterschiedlicher Grenzwerte und Fristen.
Im Entwurf der Schlußerklärung werden die Länder des Südens aufgefordert, nicht alle Entwicklungsfehler der heutigen Industriestaaten nachzumachen. Letztere werden angehalten, umweltfreundliche Technologien schnell und kostengünstig zur Verfügung zu stellen. Verbindliche Abmachungen gibt es hierzu bislang genauso wenig wie über die finanzielle Ausstattung eines Fonds zur Finanzierung umweltverträglicher Entwicklungen im Süden. Klar scheint nach der Genfer Konferenz jedoch, daß es die für 1992 geplante Weltklimakonvention ohne internationale Vereinbarungen über diese Fragen nicht geben wird. Andreas Zumach, Genf
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