Weitere NSU-Helfer kommen frei: U-Haft soll aufgehoben werden
Er verschaffte dem NSU die Mordwaffe. Trotzdem sollen Carsten S. und ein weiterer mutmaßlicher Helfer der Neonazis nun aus der U-Haft entlassen werden.
BERLIN taz | Nach der überraschenden Freilassung eines mutmaßlichen Helfers des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) in der vergangenen Woche hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Dienstag beantragt, zwei weitere Männer aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Darunter ist Carsten S., der gegenüber den Ermittlern zugegeben hatte, dem NSU Ende 1999 oder Anfang 2000 die Waffe verschafft zu haben, mit der die Neonazis neun Migranten ermordeten.
Die Bundesanwaltschaft hält den heute 32-jährigen Carsten S. zwar weiterhin für dringend verdächtig, durch die Lieferung der Waffe Beihilfe zum Mord in neun Fällen geleistet zu haben. Trotzdem beantragte die Karlsruher Anklagebehörde nun, den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben. Die Begründung: Es bestehe keine Fluchtgefahr.
Carsten S. habe sich „umfassend zum Tatvorwurf eingelassen und entscheidend zur Tataufklärung beigetragen“, hieß es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Zudem liege seit Dienstag ein Sachverständigengutachten vor, wonach bei dem zur Tatzeit 19-Jährigen wohl das Jugendstrafrecht anzuwenden sei. Weil ihn dadurch eine geringere Strafe erwarte und er sozial fest eingebunden sei, bestehe keine Gefahr mehr, dass er sich dem weiteren Strafverfahren durch eine Flucht entziehe, hieß es zur Begründung weiter.
Vom Neonazi zum Schwulenaktivisten
Carsten S. war in den 90er-Jahren wie Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Mitglied des rechtsextremen Kameradschaftsbundes „Thüringer Heimatschutz“. Zudem war er zwischenzeitlich Funktionär der rechtsextremen NPD und deren Jugendorganisation JN. Im Jahr 2001 vollzog er dann einen Bruch mit der rechtsextremen Szene und zog schließlich nach Nordrhein-Westfalen. Dort arbeitete er zuletzt bei der Aidshilfe und im Team eines schwul-lesbischen Jugendzentrums.
Nach seiner Verhaftung im Februar 2012 hatte Carsten S. gegenüber den Ermittlern über seine düstere Vergangenheit ausgepackt und schließlich zugegeben, dem Neonazi-Trio im Untergrund eine Ceska-Pistole Kaliber 7,65 mm samt Schalldämpfer verschafft zu haben, mit der die NSU-Terroristen zwischen September 2000 und April 2006 neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer erschossen hatten.
Anders gelagert ist die Sache bei Matthias D. Der 36-Jährige war im Dezember verhaftet worden, die Bundesanwaltschaft wirft ihm die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Er habe dem Trio zwei Wohnungen in Zwickau überlassen, „um diesen ein Leben im Untergrund zu ermöglichen“, hieß es damals im Haftbefehl.
Nur noch drei in Haft
Nun sieht sich die Karlsruher Anklagebehörde gezwungen, diesen auch im Falle von Matthias D. aufheben zu lassen. Der Grund ist die Argumentation, mit der der Bundesgerichtshof in der vergangenen Woche überraschend den mutmaßlichen NSU-Helfer Holger G. aus der Untersuchungshaft entlassen hatte.
Der heute 38-Jährige hatte zwar in seinen Vernehmungen gestanden, dem Neonazitrio im Untergrund seine Papiere überlassen und ebenfalls eine Waffe verschafft zu haben, mit der die NSU-Terroristen aber vermutlich keine Straftaten begingen.
Da ihm zudem nicht nachzuweisen sei, dass er damals von der Mordserie wusste, bestehe „kein dringender Tatverdacht“ wegen Beihilfe zum Mord und wegen Unterstützung einer Terrorgruppe, befanden die Bundesrichter. Im Lichte dieser Entscheidung könne man auch bei Matthias D. nicht mehr davon ausgehen, dass die Verdachtsmomente reichen um die weitere Untersuchungshaft zu rechtfertigen, teilte die Bundesanwaltschaft am Dienstag mit.
Außer der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe sitzen somit bald nur noch zwei Helfer des NSU in Untersuchungshaft.
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