Weiße Hosen aus Athen (2): Der Wurf. Der Schrei.
■ Für Hammerwerfer Heinz Weis hat sich eine Laufbahn logisch vollendet
Beim Beschwören des davonfliegenden Hammers war sie gleich mit entschwunden. Gestern war die Stimme wieder da. Wie das? „Cognac“, sagte Heinz Weis, nunmehr Weltmeister, „und nur sprechen, wenn man gefragt wird.“ Letzteres kann kein probates Mittel gewesen sein. Seit seinem großen Wurf vom Sonntag muß der Mann erklären. Sich. Den Wurf. Das Gerät. Die Fliehkräfte. Das Hinterherschreien. Vor allem letzteres. Also: Es dient dem Spannungsabbau. Manchen mag das egal sein, die Deutschen interessiert so was eben.
DLV-Präsident Helmut Digel war gleich strahlend in die Mixed Zone geeilt, um seinen Athletensprecher gebührend zu tätscheln. Das Gold kann man beim Innenminister vorweisen. Keiner kann es mehr wegnehmen, selbst Waigel nicht. Ein bisserl was möcht' schon noch dazukommen. Aber: Der Verband kann einigermaßen beruhigt in die Woche gehen.
Für den Athleten Weis (34) hat sich eine berufliche Laufbahn konsequent vollzogen. Weltklasse war er seit zehn Jahren, sein größter Erfolg zuvor aber blieb WM-Bronze von Tokio 1991. Damals war er bloß ein Sportler, der „eine glückliche Stunde“ hatte. Beruf, Studium, das ganze Gerede? „Wer sich nebenbei mit anderen Dingen beschäftigt“, sagt er, „hat fast keine Chance.“ Seit 1994 ist Weis nur noch Hammerwerfer.
Nur noch heißt aber noch mehr. Familie? Ja, aber „sie leidet“. Manche, sagt er, werden sich fragen: „Wo nimmt der Weis die Stärke her?“ Denen rät er, sich ihm eine Zeitlang anzuschließen, um seinen Aufwand einschätzen zu können.
Kurz vor Olympia hatte sich sein langjähriger Trainer Rudi Hars erschossen, seither arbeitet er in Zürich mit Bernhard Riedel, einem Hammerexperten aus Dresden, der nach der Wende beim Schweizer Verband Anstellung fand. Der hat den Trick raus: Ein 80-Meter- Wurf bringt seit einiger Zeit eine Medaille. Riedel läßt Weis nicht gehen, wenn er mit dem letzten Wurf zum Ende des Trainings nicht noch die 80-Meter-Marke überwindet. Und wenn es Stunden dauert. Seither, sagt Weis, könne er stabil über 80 werfen, wenn es gilt.
Daß er zunächst die 80,76 Meter des Russen Sidorenko, dann im letzten Versuch gar die 81,46 des Ukrainers Skvaruk zu kontern vermochte, war nicht bloß glückliche Fügung. Weis' Wettkampf-Aufbau gleicht einer Komposition. Zunächst kommt das Herantasten an den Ring. Der von Athen war miserabel. Mit der rauhen Oberfläche bekamen jüngere Kraftwerfer wie der Olympiasieger Balasz Kiss (25) Probleme. Der ausgereifte Techniker Weis fand im fünften Versuch die richtige „Geschmeidigkeit“. Die nahm er mit in den letzten Wurf, steigerte aber die Drehgeschwindigkeit noch einmal – und kam auf 81,76 Meter, mithin fast genau die Weite, die er brauchte.
Um da hinzukommen, hat er ein halbes Leben gearbeitet: „Aggressive Lockerheit“ nennt er, was trotz großer Anspannung alles möglich macht.
Weis nimmt den üblichen Jubel übrigens erfreut, aber ruhig. Ein Mann, so scheint es, sieht befriedigt, daß sich der Aufwand bezahlt gemacht hat, ohne deshalb zu vergessen, was er ist – der Hammerwerfer halt. Nun will er Mitte August noch den deutschen Rekord (83,40 m) des DDR-Werfers Haber kassieren. Und dann langsamer tun.
Nur eines hat ihn ein bißchen gestört. „Ich dachte, ich bekomme ein Fax von Helmut Kohl.“ Immerhin, sagt Weis, der in Trier geboren ist, „sind wir beide Pfälzer und ganz gewichtige mittlerweile.“ Bis gestern mittag war aber nur eins vom Innenminister gekommen. pu
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