: Weise Glühwürmchen
LYRIK Neue Haikus und Tankas aus Japan nach der Katastrophe
Neidisch blickt die deutsche Atomindustrie nach Japan, dessen Bevölkerung ruhig und diszipliniert den Super-GAU auf ihren Buckel nimmt. Auch dass zusätzlich ein Erdbeben und ein Tsunami sein Land umgepflügt haben, regt den Japaner nicht auf. Als Bewohner eines Landes, das seit eh und je von Katastrophen besucht wird, bleibt er immer gefasst.
Auch seine Lyrik ist seit Urzeiten auf diese Haltung eingespurt. Mit gewohnt kühler Feder beschreibt Kira Hari, der lebende Großmeister der gebrochenen Zeilen, die aktuelle Lage in seinem neuesten Tanka:
Japan – das Land
Der aufgehenden Sonne
Bist Du nicht länger.
Was, Japan, bei Dir jetzt aufgeht,
Sind die Atomkraftwerke!
Statt Wut und Verzweiflung sind es Gelassenheit und Trotz, mit denen der Japaner dem Unglück die Stirn zeigt und die Zähne bietet. Kamakezi, Kira Haris wichtigster Konkurrent um die Palme des besten Tankadichters, trumpft das Desaster sogar regelrecht ab:
Ja: Ein Tsunami,
Ein Erdbeben, ein Super-GAU.
Aber: Keine Pest,
Kein Meteoriteinschlag,
Kein Gas – Glück gehabt, Japan!
Still atmende Beschreibung der Natur und leise singender Lobpreis der Schöpfung zeichnen die Haikus aus, Dreizeiler, die so kurz sind wie die Japaner und genau so tief. Diese alte, in Ehren ergraute Gattung, die in weichen Worten zärtlich eine kleine Welt zierlich abbildet, verweigert sich keineswegs der neuen Wirklichkeit:
Im Silbermondlicht
Das kleine Glühwürmchen dort –
Im Fallout zergeht’s.
Das notiert, scheinbar bis in die innersten Pfosten seiner Seele ungerührt, Hama Yoko: Drei Zeilen, die ihre tiefe Bedeutung dem offenbaren, der weiß, dass das Glühwürmchen in der japanischen Kultur eine traditionelle Chiffre für den Menschen ist. Freilich: Nicht allein das Glühwürmchen, sondern der Mensch selbst ist dem Menschen ein Gedicht, wie einmal Thomas Hobbes sagte, der längst bei den Japanern angekommene englische Philosoph. Nippons populärer Menschenlyriker Shishi Wiwa weiß um den Menschen, und er weiß auch um den Onkel:
Mein Erbonkel war
Ein Griesgram. Doch jetzt strahlt er.
Danke, Atomkraft!
Für den Bürger des Westens, der seinen Ärger über Katastrophen und Atomunfälle ungefragt zur Schau trägt, hat der durchschnittlich gewachsene Japaner bloß Stirnrunzeln und Kopfschütteln übrig. Shihori Ma, der die Atombombenabwürfe von 1945 miterlebt hat und durch sie zum Dichter wurde ähnlich wie, um einen Vergleich mit Deutschland auf den Tisch zu legen, Günter Grass durch den Verlust Danzigs zum Pfeifenraucher – Shihori Ma also schreibt:
Erst eine Zehe
Danach dann ein ganzes Bein
Anschließend ein Arm:
Stückweis’ verschwindet der Mensch –
Und mit ihm das Gejammer!
Gejammer, Gestöhne, Geklage – sie sind dem emotional auf Neutralität gebürsteten Japaner selbst in den engsten Stunden fremd. Nicht nur für den Zusammenbruch der Reaktoren in Fukushima, auch für die jüngsten Naturkatastrophen findet er einen durchaus unsentimentalen Ausdruck:
Wenn die Erde bebt
Lachen die Schüttelreimer:
Jetzt geht’s allen so!
dichtet Mishi Butsi, und Sukuzi bringt das andere Unglück auf den Punkt:
Geh nicht an den Strand!
Ein Tsunami bricht herein –
Der Strand komm zu dir.
Anders als der gemeine Europäer, für den jeden Tag, an dem ihm ein neues Missgeschick widerfährt, die Welt den Bach runterhopst, weiß der Japaner, weiß der Tankadichter Tayoto Hando, dass die aktuelle Gegenwart, mag sie auch so schwarz sein, wie sie will, Zeichen der Hoffnung, Signale der Zuversicht sendet – man muss nur Ohren haben, sie zu sehen:
Musik des Regens
Im Bezirk Fukushima:
Es nieselt leise.
Im trock’nen Abklingbecken:
Die Symphonie der Tropfen!
Seebeben, Fluten, atomare Debakel – der japanische Mensch und besonders der Japaner lässt den Mut nicht hängen. Optimismus blüht aus ihm, selbst wenn er eine Ruine ist. Yama Fudschi hat das letzte Wort, das wieder aus genau 17 Silben besteht und doch so kurz ist wie er selbst:
Japan in Trümmern?
In sechzig Jahren wieder
Lacht man darüber!
PETER KÖHLER