: Weinende Göttin, feiernde Massen
■ 100 Jahrfeier der Straßenbahn: Voll war's und für fast jeden etwas dabei
Um solche Menschenmassen zu transportieren, muß eine alte Straßenbahn lange fahren: Rund 250.000 Menschen aus Bremen, umzu und ganz weit umzu tummelten sich am Freitag und Samstag auf dem Gelände der Bremer Straßenbahn AG, und das, obwohl die liebe Wettergöttin offensichtlich keine Freundin des Öffentlichen Personennahverkehrs ist. Nur am Samstag bis zum frühen nachmittag ließ sie wärmende Sommersonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke. Als es bei Straßenbahners wieder so richtig losging, gewitterte es alsbald wieder und regnete dazu so heftig, daß sich die Menschenmassen in Halle und Zelten drängelten.
Grund dafür: Die Bremer Straßenbahn, die „Elektrische“, wurde einhundert Jahre alt. Und wenn das kein Grund zum Feiern ist. Schließlich war damals, ein Jahrzehnt vor der letzten Jahrtausendwende, die Straßenbahn das, was sie jetzt gerne wieder wäre, europaweit absolut und einsame Spitze. Und für diesen einen Tag ließ die BSAG kaum etwas unversucht, den strömenden Menschenmassen das Bild eines gut funktionierenden, auf extreme Anforderungen flexibel reagierenden Unternehmens zu malen. Extra Park&Ride -Verbindungen, drei an der Zahl, waren eingerichtet worden. Die Fahrkarten kosteten nur eine schlappe Fest-Mark und auch für die BesucherInnen aus dem Umlad waren die Preise für Bundesbahn und Umlandbus kräftig gesenkt worden. Doch wie schwer ist es doch, das Gewohnheitstier Mensch selbst zu solchen Anlässen und trotz besonderer Maßnahmen zur Umkehr zu bewegen: Die Autos aus DH, OL, CUX, HI und was immer sich aus nah und fern zum Feiern bewegten, krochen auf der Neuenlanderstraße und in den Seitenstraßen, um ihre Karosse möglichst dicht an den Ort der ÖPNV-Feier zu kutschieren. Doch immerhin: Die Bahnen, die aus der Stadtmitte von der Domsheide gen Jubilar rollten, sie waren voll, voller und bisweilen auch am vollsten.
Und was erwartete die Gäste? Allzuviel aus der glorreichen Geschichte, allzuviel für eine bessere Zukunft Werbendes mochten die BSAG-FestmacherInnen dem Publikum nicht zumuten. Wer's mochte, konnte die liebevoll restaurierten Oldies und die neuen High-Tech-Gefährte bestaunen und ablichten. Ansonsten war's eher eine Art Stadtfest vor den Toren der Stadt. Gyros, Bratwurst, Kebab, Chinapfanne, und wer dazugehört, ging ins Sektzelt und wer dazugehört zur Radio Bremen-Disco. Und da und dort Dixieland, Oldies und ein bißchen Funk oder Soul.
Immerhin: Für (fast) jede ist 'was dabeigewesen. Und das wäre als Motto für den ÖPNV-Alltag der Zukunft doch auch gar nicht so schlecht. BSAG: „Wir haben jedem etwas zu bieten.“ Bis dahin muß es ja nicht wieder hundert Jahre dauern.
hbk
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