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Archiv-Artikel

Weil es noch niemand getan hat

Immer wieder Brad: Die Ausstellung „One Man Shown“ in der Galerie c/o Berlin zeigt fast 500 Aufnahmen, die Karl Lagerfeld von dem Model Brad Koenig gemacht hat. Ein fotografischer Entwicklungsroman wird nicht daraus – aber das schadet nicht

von BRIGITTE WERNEBURG

Produktiv ist, wer immer die günstige Gelegenheit und nie Schwierigkeiten sieht. Karl Lagerfeld und sein Freund und Verleger Gerhard Steidl sind enorm produktiv. Stets sehen sie den nächsten Coup; seine Form, meinen sie, wird sich schon finden.

Als Karl Lagerfeld erstmals das Postfuhramt in der Oranienburger Straße sah, hatte er notwendigerweise sofort eine Idee, den wiedergewonnenen Ausstellungsort von c/o Berlin für sich zu nutzen. Für diesen Ort, der auf so glückliche Weise „die Kälte einer modernen Galerie“ missen lässt, wie er auf der Pressekonferenz erklärte, formatierte er seine Arbeit mit Brad Koenig, dem All-American Boy, den er vor fünf Jahren als Model entdeckte und aufbaute, unter dem Titel „One Man Shown“ zum konzeptuellen fotografischen Entwicklungsroman um.

Leicht zu erkennen, dass die Idee eine nachgereichte ist. Denn es gibt keine Entwicklung zu beobachten. Brad Koenig ist ein natural born model. Von Anfang an kann er alles und hat er alles, was es braucht, um als Model erfolgreich zu sein. Er ist der falsche Mann. Zumindest für das behauptete Konzept – das wahrscheinlich undurchführbar ist. Wer erst eine merkbare Entwicklung durchlaufen muss, um zum Model zu werden, wird diese Chance kaum erhalten.

Als Jürgen Teller ein Abfallprodukt seiner Arbeit als Modefotograf 1999 im Fotoband „Go-Sees“ konzeptuell aufbereitete, war er sich, anders als jetzt Karl Lagerfeld, der Doppelgesichtigkeit seines Gewerbes bewusst. Zwischen Tür und Angel aufgenommen, schönte er die Mädchen nicht, die bei ihm klingelten, um von ihm entdeckt zu werden. Ihr Irrtum von einer Option auf eine Modelkarriere interessierte ihn, deshalb konnte er erkennen, was jede Einzelne ausstrahlte und bewegte. Indem er ihnen im Nachhinein noch ihre berühmten fünfzehn Minuten verschaffte, legte er ein brillantes Dokument des Zeitgeists vor.

Eine ähnliche Relevanz fehlt „One Man Shown“. Knapp 500-mal dasselbe Model zu sehen, das selbst als perfekte Verkörperung von James Dean erkennbar in der immer gleichen Brad-Koenig-Pose auftritt – das schaut einfach nur nach einer monströsen Resteverwertung aus. Dass die günstige Gelegenheit dieser Resteverwertung am Ende doch nicht über ihre Form triumphiert, liegt am Aufbau der Ausstellung. In der Präsentation von „One Man Shown“ sind endlich Lagerfelds Ideen und Gerhard Steidls Arbeit und Sorgfalt zu finden: in der Hängung, den unterschiedlichen Projektionen, Formaten und Prints, vom kleindimensionierten klassischen Abzug, streng im Passepartout gerahmt, bis hin zum Siebdruckplakat; in einzelnen Schwarzweißserien, deren fotografische, betont grafisch angelegte Ausarbeitung überzeugt; in einer fotografischen Haltung, die Glamour erzeugt, indem sie sich seinen vordergründigen Signalen verweigert. Im Detail ist die Ausstellung wirklich spannend, weshalb vor allem c/o Berlin einen Coup gelandet hat mit „One Man Shown“.

Obwohl sich Karl Lagerfeld als „paperfreak“ bezeichnet, ein Begriff, den er am Samstagnachmittag im Gespräch mit Sandra Maischberger länger erörterte und der seine Liebe zu Papier und Drucksachen meint, hat er die Herstellung des kleinen Begleitkatalogs ganz und gar Gerhard Steidl überlassen. Sei es aus Kalkül, weil der richtige, große Bildband zu „One Man Shown“ erst noch folgen wird, sei es um der günstigen Gelegenheit, schnell mal wieder ein Fotobuch zu produzieren, willen: Die interessantesten Serien wie das Moholy-Nagy-Zitat, in dem die Balkon- bzw. Terrassenbrüstung starke Schlagschatten auf den im Sonnenlicht liegenden Brad Koenig wirft, oder das Spiel mit dessen Schemen hinter der beschlagenen Glasscheibe der Dusche hat Steidl in den Katalog nicht aufgenommen.

Immer die günstige Gelegenheit zu sehen und sich um die weiterreichenden Fragen nach dem Weshalb und Wozu nicht zu scheren, zu diesem Prinzip seiner Produktivität bekennt sich Karl Lagerfeld, der sich offensichtlich gut kennt. Auf die Frage von Sandra Maischberger, warum um Gottes willen man 500-mal dasselbe Model zeigen mag, antwortete Lagerfeld lapidar: „Weil es noch nie gemacht wurde.“ Okay. Kein sonderlich tiefschürfender Grund. Aber warum nicht? Nachhaltigkeit ist definitiv keine Maxime, die mit Lagerfelds Verständnis von seiner Person und von seiner Arbeit konveniert. Das hat seinen sehr sympathischen Aspekt, wenn er ein Karl Lagerfeld Museum zum Unding erklärt. Sein Ehrgeiz zielt auf die keineswegs unbedeutende Anstrengung, aktuell anregend zu sein, die er mit Bravour meistert.

Bis 4. Februar, Postfuhramt, Oranienburger Straße, täglich 11–20 Uhr