piwik no script img

Weihnachten"Heiligabend ist mir Latte"

Für die Festmacher der Kanalschleuse Kiel-Holtenau ist Heiligabend eine kurze, unheilige Nacht: die üblichen Leinen und Lotsen. Ein Besuch bei den Herren Timm, Abi und Storm.

"Wenn das Tau bricht, erschlägt es den Mann, der im Weg steht": Arbeiten auf der Kanalschleuse Kiel-Holtenau. Bild: Lars Wehrmann

In Kiel ist es kälter. Immer. Ist es in Hamburg angenehm, ist es in Kiel kühl. Ist Hamburg kalt, ist Kiel fies. Vor allem am Wasser. Beißt in den Ohren. Solch eine Kälte ist das - hier an der Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals. Am Pförtner sind wir vorbei. Haben einen Matrosen getroffen, der in der Seemannsmission gepennt hat und jetzt auf die "Alsterstern" will. Der Pförtner sagt ihm Bescheid, wenn sie kommt. Der Matrose verzieht sich wieder.

Auch das kann man - hier an der Schleuse. Ein- oder aussteigen. Mal nach dem Öl im Motor gucken, Proviant aufnehmen, Frischwasser, Seile. Was man so braucht auf der Fahrt von Kaliningrad nach Rotterdam. Die Schleuse ist auch ein Kurzzeit-Parkplatz für Schiffe. Gearbeitet wird hier jeden Tag, rund um die Uhr. Also auch am 24. Dezember. Zwölf sind im Dienst und keiner flennt. Mehr Geld gibt's nicht, weil Heiligabend kein offizieller Feiertag ist.

Ein Lotse für den Kanal

Die Finanzfrage

Die Schleusendurchfahrt kostet eine ganze Stange Geld. Je nach Bruttoraumzahl (BRZ), was früher mal Bruttoregistertonne hieß. Ein Schiff mit einer BRZ von 30.000, also großes Teil, kostet 6.784 Euro, plus 2352 Euro Lotsgeld und Befahrungs- sowie Kanalsteuerabgaben. Macht so um die 15.000 Euro. Da schaut mancher Reeder auf die Spritpreise und rechnet, ob es nicht billiger ist, um Dänemark herum zu fahren. Eine Zeitfrage. Wer Zeit hat, fährt bei günstigen Spritpreisen "oben rum". Wer es eilig hat, nimmt den Kanal.

Da ist Andreas Storm, 40, Festmacher der "Ersten Wache". Hat heute Spätschicht, von 11 Uhr bis 20 Uhr, dann kommt die Nachtschicht, 20 Uhr bis 5 Uhr. Dann die Frühschicht. Am ersten Weihnachtsfeiertag fängt Storm um fünf an. Die Nacht ist eher kurz als heilig. Die Südschleuse ist 320 Meter lang. Hinten blinkt ein Licht, da passiert was mit der Brücke auf der Ostseite, die geht gleich auf. Dann klingelt es, das Tor geht auf, zwei Tanker kommen. Es ist kurz nach sechs.

Herr Timm und Herr "Abi" Abramowski, Festmacher wie Storm, haben ihre Wurfleinen in der Hand. Während geschleust wird, wird das Schiff festgemacht, damit es nicht abhaut. Vorne und Achtern mit zwei, drei Festmacherleinen. Der erste Tanker ist so langsam, dass man nebenher laufen kann. Timm hat einen FC St. Pauli-Aufkleber auf dem Helm, Dauerkarte, und trug mal das "Volker hört die Signale"-Shirt als Reverenz an den Torwart. Hat er leider nicht mehr.

Hier haben wir die "Lexus", hat Gas geladen. "Morning" ruft Storm, "hallo" antwortet der Matrose. Timm ist Achtern, Abi vorne. Vorne ist heikler, weil mit der ersten Festmacherleine, der Vorspring, das Schiff zum Stehen gebracht wird. Timm hat seine Wurfleine in der Hand, ein Holzpfropfen ist dran. Die Leine wirft er locker aus dem Handgelenk ein paar Meter hoch und weit neben den Matrosen aufs Schiffsdeck. Nun wirft der Matrose die Festmacherleine, mit der angeknoteten Leine, die Timm ihm zugeworfen hat, zu uns rüber. Geht man besser aus dem Weg. Dann ruft der Matrose, der ein Funkgerät in der Hand hat, Abi und Timm zu, was sich sein Kapitän als vorderen Haltepunkt ausgedacht hat. "Last white", das ist der letzte weiße Poller, dann kommen noch ein paar, aber es ist gut, man kriegt den letzten weißen, wenn noch ein zweiter Tanker kommt. Achternleine rum. Hat ne Menge auszuhalten. Das Tau. Wenn es bricht, erschlägt es den Mann, der im Weg steht.

Die Lexus kommt aus Donsö, Schweden. Gangway dran. Damit der Lotse von Bord, und der Kanalsteurer rauf kann. Auch ein Lotse, speziell für den Kanal. Die Gangway der Lexus ist keine der Sorte schön weiß und alles, sondern eine, die im Schnee liegt und die Schiff und Kai nicht plan verbindet. Da muss der Lotse runter klettern und der Kanalsteurer hoch. Der fährt bis Rüsterbergen mit, dann bringt ihn ein Shuttle zurück zur Schleuse.

Keine Weihnachtsdeko

Der andere Tanker ist die Crystal Amethyst. Bringt Öl vom finnischen Porvoo nach Antwerpen. In einem guten Jahr fahren 40.000 Schiffe durch den Kanal. Im Krisenjahr 2009 waren es zehn Prozent weniger. Gestern, am 23., war nix los. Heute ist es fast normal. "Heiligabend ist mir Latte", sagt Timm. Wir sitzen im Festmacher-Aufenthaltsraum. Keine Weihnachtsdeko. Timm vor seinem Laptop, Abi ruht sich aus. Zwei Wachen sind privat, zwei öffentlicher Dienst. "Kannst ja mal überlegen, wer da mehr verdient. Mehr sag ich nicht dazu", brummt Abi.

Die Festmacher sehen auf einem Bildschirm, wann das nächste Schiff kommt. Außerdem kriegen sie einen Anruf. Jetzt. Stullen weg, Laptop aus, Jacke an, Helm auf, Ohrschützer runter, Handschuhe an. "Ham wer?", fragt Timm. "Tanker", sagt Abi.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!