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Archiv-Artikel

Waterloo in Lamstedt

Im Landkreis Cuxhaven rühren Befürworter einer „Küstenautobahn“ die Werbetrommel für den Bau der A 22. Bei einer Promo-Veranstaltung gaben allerdings eher die Gegner des Vorhabens den Ton an

aus Lamstedt KAI KOPPE

„Hamburg 128 km“ prangt in weißen Lettern auf blauem Grund. Ob so ein Straßenschild tatsächlich einmal seinen Platz neben der Leitplanke findet, steht derzeit noch in den Sternen. Ohne dass ihr ein „vordringlicher Bedarf“ bescheinigt wurde, ist die Küstenautobahn bislang nämlich nichts weiter als eine imaginäre Linie im Bundesverkehrswegeplan. Aus programmatischen Gründen hat der Förderverein „Pro A 22“ aber schon mal einen Wegweiser drucken lassen – und einen großen Stapel Imagebroschüren dazu.

„Zum besseren Verständnis!“ heißt es im Untertitel des Hochglanzprospekts, der in der Gemeindehalle Lamstedt (Landkreis Cuxhaven) offenbar seine Wirkung verfehlt: Gegner der geplanten Autobahn quer durch das platte Land zwischen Weser und Elbe haben Transparente entrollt, zwei Drittel der knapp hundert Gäste im Saal beziehen hier gegen einen „KüstenautoWahn“ Stellung. „Nicht repräsentativ“ sei das Stimmungsbild, wird Wilfried Allers, Sprecher von „Pro A 22“, nach zweistündiger Diskussion eilig erklären. „Wenn man etwas Gutes vorhat, ruft man immer zuerst die Kritiker auf den Plan. Die Masse der Leute, die uns unterstützen, bleibt leider zuhause.“

Fehlenden Rückhalt auf der Publikumsseite versucht der von Wirtschaftsvertretern ins Leben gerufene Autobahn-Förderverein auf seiner Werbetournee durch den Landkreis Cuxhaven wettzumachen – mit insgesamt zehn Veranstaltungen entlang der 113 Kilometer langen Planungslinie, bei denen er prominente Fürsprecher des 844-Millionen-Euro-Projekts aufs Podium setzt. Die niedersächsische Landtagsvizepräsidentin Astrid Vockert hat in der „schwarzen Burg“ Lamstedt schon viele Triumphe gefeiert, entsprechend gelassen reagiert die CDU-Politikerin am Dienstagabend auf die Kulisse aus Autobahngegnern: Die Abwägungsfrage stelle sich eben zwischen Anwohnerinteressen und notwendigem Wachstum für die Region – Letzteres funktioniert aus Sicht von „Pro A 22“ nur mit einer neuen Verkehrstrasse, die nach ihrer Fertigstellung im Jahr 2017 den strukturschwachen Küstenraum Elbe-Weser an das Binnenland anbinden würde. Für Vockert geht es hierbei um Erschließungsmöglichkeiten für den Tourismus, vor allem aber um „Ausbildungsplätze und Arbeit“.

Dass die Cuxland-Region von einem durch ihr Herzgebiet gelenkten Verkehrsstrom zu profitieren vermag – spekuliert wird über bis zu 15.000 LKW täglich – ziehen Gegner des Projekts, lokale Bürgerinitiativen und Umweltverbände, allerdings erheblich in Zweifel. „Eine reine Transitstrecke wird das“, fürchtet Uwe Schmidt, Koordinator von www.A22-nie.de. Schlimmstenfalls flösse die lokale Wirtschaftskraft über eine Küstenautobahn sogar weiter gen Osten ab. So wie das Badewasser, nachdem man den Stöpsel aus der Wanne gezogen hat.

Inzwischen gibt es Verstärkung für die A 22-Verfechter vorne am Rednertisch. Erst mit halbstündiger Verspätung hat Walter Wehling vom Bremer Wirtschaftsinstitut BAW die Veranstaltung erreicht. Wegen der zeitraubenden Landstraßenfahrt an den Veranstaltungsort, entschuldigt er sich, sein Navigationsgerät habe allerdings auch nicht so funktioniert wie es sollte. In punkto Autobahn ist sein Kurs allerdings klar: „Strukturen optimieren, um im künftigen Konkurrenzkampf der Regionen zu den Gewinnern zu gehören.“ Zweiflern empfiehlt er einen Blick ins Geschichtsbuch. „Ohne den Fernstraßenbau nach dem Zweiten Weltkrieg wäre das Wachstum der BRD gar nicht vorstellbar gewesen.“

Aus Sicht der widerständigen Bürger in Lamstedt entlarven solche Beispiele den Anachronismus einer Fortführung des Konzepts Straße. „Den Klimawandel blenden Sie aus“, moniert Axel Viebrock aus dem nahe gelegenen Dorf Lintig. Warum setze die Wirtschaft nicht mehr auf die Schiene? „Eisenbahn, Eisenbahn!“, rumort es ab jetzt immer wieder im Saal. Die Küstenautobahn-Befürworter blicken nach der Uhr. Am Ende versprechen beide Lager, sich gegenseitig erhalten zu bleiben: Bei der nächsten A 22-Runde will man wieder dabei sein.