: Was tun mit dem Schwan?
Fliegen verlernen: In New York gibt es Streit um Eero Saarinens Terminal 5 auf dem Flughafen JFK. Zuletzt war er Schauplatz einer recht kurzen Kunstausstellung – geöffnet für eine Minute. Und nun?
VON HENNING KOBER
In diesem Gebäude beginnt der Mensch zu fliegen. Nüchtern betrachtet mit dem Einchecken. Doch gleichzeitig nicht weniger durch die Gefühle, die der Schritt über die Schwelle auslöst. Die Form des vom finnischen Architekten Eero Saarinen für TWA entworfenen und 1962 vollendeten Terminal 5 am JFK-Flughafen erinnert an einen die Flügel erhebenden Vogel. Über die Jahrzehnte wurde es zum majestätischen Wahrzeichen der Ankunft in New York, wie zu anderen Zeiten die Freiheitsstatue. Seit 2001 geschlossen, gab der Bau im letzten halben Jahr die Bühne frei für einen skurrilen Streit um eine Ausstellung. Es geht um die Frage: Wie gehen die Akteure der Postmoderne mit den Relikten der Moderne um?
Die Geschichte von Terminal 5 beginnt in einer Zeit des großen Optimismus. Anfang der 1960er-Jahre sind die USA unter Präsident Kennedy eine entschlossen der Zukunft zugewandte Gesellschaft. Howard Hughes, der legendenumrankte Milliardär und Besitzer von TWA, wählt sich den Ästheten Saarinen als Architekten für seinen neuen Terminal. Beide sind Utopisten. Hughes Geschäftsziel ist der Besitz einer sexy Airline. Jimi Hendrix fliegt TWA. Oder Twiggy. TWA-Piloten sind selbst Stars, umschwärmt von Groupies. Schicke Typen wie Leonardo di Caprio in „Catch Me If You Can“, den Regisseur Spielberg nicht zufällig in Saarinen’s Terminal drehte. Fliegen ist damals nicht nur Transport von einem Ort zum andern. Wer fliegt, ist näher bei den Sternen. Dieses Gefühl verstärkt Saarinen in seinem Entwurf. Geschwungen, gewölbt, treffen seine Formen in zartem Weiß und etwas Burgundrot aufeinander. Die gleichberechtigten Materialien: Beton, Glas und Licht.
Saarinen entwarf ohne Computer. Seine Tochter erinnert sich an das für den Entwurf ausschlaggebende Frühstück: „Mein Vater teilte seine Grapefruit, schnitt mit dem Messer drei Halbkreise hinein und betrachtete die Form einige Minuten lang.“ Mies van der Rohe ist ein wichtiger Einfluss. Stanley Kubrick ein Bruder im Geiste. Ironie, dass sich dessen Bilder in „Space Odyssey“ vom Reisen in der Zukunft heute ins Gegenteil gewandelt haben.
Die traditionellen US-Airlines sind insolvent oder kurz davor. Die Concorde steht im Museum. Obwohl die Zahl der Flugpassagiere auf lange Sicht ständig wächst, erfreut sich die heutige Kundschaft nicht an Stewardessen in Pucci, sondern am günstigen Preis der Tickets, die sie selbst im Internet bucht.
Einen Monat nach dem 11. September, als der Traum vom Fliegen endgültig seinen Zauber verlor, wird der Saarinen-Bau geschlossen. TWA ist da schon ein halbes Jahr Pleite. Seitdem steht die Port Authority, die den Flughafen betreibt, vor der schwierigen Frage: Was soll mit dem einst so stolzen Schwan geschehen, der für heutige Passagierzahlen zu klein und nicht für Jumbo-Jets konzipiert ist? Ein Abriss steht zum Glück nicht zur Diskussion, das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Die New Yorker Municipal Art Society hat ihn trotzdem auf die Liste der zehn bedrohtesten Bauwerke in den USA gesetzt. Die größte Gesellschaft am JFK-Flughafen ist mit acht Millionen Passagieren inzwischen die erst vor vier Jahren gegründete Low-Cost-Line Jet Blue, die Großspenden an die Republikanische Partei überweist. Deren erster Entwurf für einen neuen Superterminal, sparsam in Blockform gebaut und vor den Saarinen-Bau gesetzt, erregte erbitterten Widerstand der Architekturkritiker. Eine wesentliche Idee Saarinens, der freie Blick auf die Startbahn, würde so verbaut. Sensibilisiert durch zahlreiche Leserbriefe in der New York Times mit der Forderung, den Terminal der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, stimmte die Port Authority letzten Sommer dem Vorschlag der freien Kuratorin Rachel K. Ward für eine Kunstausstellung zu. Jet Blue verpflichtet sich als Hauptsponsor.
Anfang Oktober wurde die Ausstellung mit einer Party eröffnet. Auf den Arrival- und Departure-Tafeln standen Aphorismen von Jenny Holzer. Der japanische Klangkünstler Ryoji Ikeda hatte den Tunnel, der zu den Flugsteigen führt, in einen schwingend desorientierenden Zwischenraum verwandelt. Am 5. Oktober begann die Schau regulär für die Öffentlichkeit. Nach einer Minute wurde sie wieder geschlossen. Die Port Authority warf der Kuratorin vor, während der Party ihre Aufsichtspflicht verletzt und zu viele Gäste eingeladen zu haben. Das Rauchverbot sei nicht konsequent eingehalten worden, eine Scheibe zerbrochen. Ein Gast habe eine Tür, die zum Flugfeld führt, geöffnet.
Schon im Vorfeld gab es Ärger. Jet Blue hatte darauf bestanden, „VB54“ zu entfernen. Die Arbeit von Vanessa Beecroft zeigt 35 fast nackte, schwarze Frauen in silbernen Fußfesseln und thematisiert die Behandlung von unerwünschten Immigranten.
Es folgten ewige Verhandlungen. Die Port Authorithy forderte ein besseres Sicherheitskonzept. Kuratorin Ward erzählt: „Die behandeln mich wie eine Airline.“ Sie dachte darüber nach, das Werk von Vanessa Beecraft in einer Galerie in Manhattan auszustellen, Kunst im Exil, in New York ein denkbarer Kompromiss. Die Port Authority signalisierte, eine Wiedereröffnung an nur zwei Tagen in der Woche sei vorstellbar, um den Strom der Besucher zu begrenzen. Es kam nicht dazu. In aller Stille wurde der hervorragende Katalog veröffentlicht; die Kunst ungesehen demontiert. Wie Terminal 5 in der Zukunft genutzt und erhalten werden kann, ist weiter ungewiss. Eero Saarinen sagte: „Es wäre auch eine schöne Ruine.“
Katalog: „Andrew Lee Walker und Rachel K. Ward, ‚Terminal 5‘.“ Lukas & Sternberg New York, 285 Seiten, 39 €