Was trägt Santa Rita drunter?

Eine österliche, unklösterliche Variation des Katholischen als agnostische Verkehrsform

Katholizismus ist wie Analverkehr – man muss sich richtig reinknien

Bei Göttingen muss ich immer an Göttin denken. Wer Göttingen kennt, wird hier verdutzt stutzen – und ahnen, dass die Verehrung nicht an Göttingen selbst liegen kann. Die niedersächsische Kleinstadt beginnt ihren Namen zwar mit Göttin, weiß aber das ihr vielleicht sogar innewohnende Verzückungspotenzial ebenso kompetent wie komplett zu verstecken. Und obwohl selbst der gottvoll agierende Dichter und Zeichner F.W. Bernstein lange in Göttingen wirkte und lehrte, hat die Stadt den zweifelhaften Charme eines etwas albernen und verpupsten Studniker-Durchgangslagers nicht ablegen können, das junge Menschen zunächst halbfertig bäckt, um sie dann, randvoll viertelakademischer Ressentiments, ins allgemeine Rennen zu schicken, wo sie flugs die Sitten verderben.

Meine Göttingen/Göttin-Assoziation verdankt sich einzig einer jungen Frau, der ich vor Jahren in Göttingen begegnete – die aber, wie auch ich, an jenem Abend in Göttingen nur zu Gast war. Ich sah sie, ich hörte sie sprechen – ich stand in Flammen. Sie hatte einen Mund, für den der Papst den Petersdom angesteckt hätte, und ich hätte ihm das Benzin und die Streichhölzer geholt.

Vielleicht war es diese Entschlossenheit, die mir half, sie kennen zu lernen – vielleicht aber auch der Sprint in eine Kathedrale bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit. Sieben große Kerzen zündete ich an und betete um Glück. Ich gondele für gewöhnlich als skeptischer Agnostiker durch die Welt, bin also auch der eigenen Agnosis gegenüber vorsichtig – es fällt schließlich nicht leicht, die Existenz Gottes abzustreiten, wenn Van Morrison sie besingt: Zumindest in Van Morrison und seiner Musik leben Göttin und Gott. Mit gläubischem Tünnef aber habe ich keinerlei Verträge, ein pötternder Christ werde ich in diesem Leben nicht mehr. Doch in dem Fall wollte ich jede Hilfe, die ich kriegen konnte. Gott konnte nicht schaden, dachte ich etwas salopp – was allerdings, gäbe es IHN wirklich, ein unverschämter Satz wäre: Vorschriften wären wohl das Letzte, mit dem man Gott kommen könnte.

Da meine Gebete freundlicherweise erhört wurden, hatte ich Dank abzustatten. So begann ich, Kirchen aufzusuchen, entzündete der Liebe neue Lichter und flüsterte in frohem Ernst: Merci, mon Dieu. Ich fand Gefallen an den kühlen, stillen Häusern Gottes. Es sind lallbackenfreie Zonen, niemand brüllt oder lässt den Hund bellen, auch die so genannten tollklasse Meinungen werden schön für sich behalten, und das tut ihnen sehr gut, den Meinungen, wenn sie das Licht der Öffentlichkeit gar nicht erst erblicken, und meine Ohren danken’s auch. Kurz: In einer gescheiten Kirche geht es, außerhalb der Gottesdienstzeiten, immerhin so würdig zu, wie es in diesen lausigen, lauten Zeiten vielleicht gerade noch möglich ist.

Bitter allerdings für den wenn nicht Gott, so doch Ruhe Suchenden sind protestantische Klitschen: Bah, wie schäbig, für INRI nur IKEA übrig zu haben. Martin Luther, der letzte Katholik des Protestantismus, wusste noch, wie man Gott richtig verehrt, wollte es aber aus Prinzipienreiterei allen anderen verbieten. So kam der deutsche Protestantismus in die Welt, und bis heute hat er ihr nur Verzichtbares hinzugefügt.

Wie erfreulich dagegen ist ein Tête-à-tête mit Gott in einem romanischen Land. In Italien oder Spanien geht man großzügig am Opferstock, und auch der Laie versteht, wie der Katholizismus seine Kundschaft ankobert und ködert. Ich sah schwule Jesusse sonder Zahl, zur Freude der Auftraggeber oder des ausführenden Malers gepinselt, und auch die Heiligenbilder und -statuen feuern deutliche sexuelle Botschaften ab. In der großen Kathedrale in Barcelona zündete ich Santa Rita eine Kerze an, hoch und gerade stand sie im langen schwarzen Kleid, ein heiliges Versprechen aller köstlichen Sünden, und mir wurde klar, welche Frage Generationen von Novizen und Ministranten bei der Stange hielt und hält: Trägt Santa Rita was drunter? Wenn ja, was? Ist sie rasiert? Das ist es, was den katholischen Laden zusammenhält – das Pattex der erotisch-katholischen Mystik scheint gut zu kleben. Ich schwankte, sank auf die Knie vor Santa Rita, mir wurde schwarz vor Augen, und dann sah ich die Schrift an der Wand: Katholizismus ist wie Analverkehr – man muss sich richtig reinknien, um ihn zu verstehen.

Das Schöne an katholischen Ländern ist, dass man noch ohnmächtig werden darf. Ich erwachte, die empfangene Botschaft in mich eingraviert, rappelte mich auf – und floh. So genau hatte ich es nicht wissen wollen: Nein, das klang nach Aua. Ich sprang dem Katholizismus von seiner schön schimmernden, aber garstigen Schüppe.

Im Hotelzimmer baute ich einen kleinen Altar für die Liebe: Santa Rita, daneben ein kurz berockter, geflügelter männlicher Engel, der den Teufel mit einer Lanze niederhält, Kerzen verströmten milde ihr Licht, und eine sehr reale Göttin weihte mich ein in die Freuden und Wonnen des Sexismus, von Göttingen so angenehm viele Lichtjahre entfernt wie von allem katholischem Quatsch. Die kitschigen Heiligen habe ich trotzdem lieb. WIGLAF DROSTE