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■ Was macht Michael Jackson in Sulzbach/Taunus?Roter Teppich am Heimwerkermarkt

Sulzbach/Taunus (taz) – Von wegen 17. Juni! Glauben wir den deutschen Stellvertretern des japanischen Unterhaltungsgiganten Sony, dann „könnte der 16. Juni ein historischer Tag werden“. Dann nämlich wirft die Firma weltweit Michael Jacksons neues Doppelalbum „HIStory – Past, Present and Future, Book 1“ in die Regale. 15 Greatest Hits und 15 neue Songs auf einem Tonträger, der laut Sony eigentlich gar nicht mehr Tonträger heißen darf, sondern „Gefühlsträger“.

Weil man aber so einen empfindlichen „Gefühlsträger“ nicht schnöde als Demokassette verschicken kann, wurden am vergangenen Dienstag mehr als 700 Journalisten und Plattenhändler in Bussen zur „Vorab-Listening-Session“ herangekarrt. Einen Hauch von Premiere, Preisverleihung oder Vernissage versprach die Eintrittskarte, „Be A Part Of HIStory“ stand darauf gedruckt. Als Ort des Geschehens, in das laut Vorberichten auch Promis wie Gloria von Thurn und Taxis verwickelt sein sollten, war der Marktflecken Sulzbach im Taunus ausgewählt worden.

Genauer gesagt das Cinecenter „Kinopolis“ (12 Leinwände) in der 9.000-Seelen-Gemeinde bei Frankfurt am Main – eine dieser Kinokisten auf der grünen Wiese, wo es im Parkhaus (2.000 Stellplätze) stärker nach Popcorn als nach Abgasen stinkt. Hier also, zwischen Autowaschanlage und Heimwerkermarkt, war der rote Teppich ausgelegt.

Sulzbachs gibt es zirka zwei Dutzend in der Bundesrepublik. Warum aber hatte es ausgerechnet Sulzbach im Taunus getroffen? Etwa nur deshalb, weil im „Kinopolis“, wie Sony verlauten ließ, „die Akustik des Albums gut rüberkommt“? Natürlich nicht! Nur dieses Sulzbach hatte sich als ausreichend geschichtsträchtig qualifizieren können für die Vorstellung einer Schallplatte, die „Popgeschichte schreibt, weil sie Popgeschichte ist“.

Oberflächlich betrachtet scheint Sulzbach nur aus einem Einkaufszentrum zu bestehen – dem sogenannten Main-Taunus- Zentrum (MTZ), einen gigantischen Parkplatz mit Autobahnanschluß, an dem auf einer 500 Meter langen Betonflaniermeile 83 Geschäfte aller Art aufgereiht sind (samt Hertie, Horten und C&A). Doch Sulzbach hat noch mehr zu bieten. Zum Beispiel eine Reihenhaussiedlung, einige Softwarefirmensitze sowie einen makellosen 60er-Jahre-Ortskern mit Fachwerkeinsprengseln.

Das MTZ, an dessen Rand sich das „Kinopolis“ befindet, wurde 1962 errichtet – und zwar als erstes deutsches Einkaufszentrum überhaupt, wie das „Bürger-Info“ der Gemeinde Sulzbach stolz erwähnt. Als Beginn der Geschichte Sulzbachs ist dort das Jahr 1000 („wahrscheinlich früher“) vermerkt. Den vorläufigen Endpunkt bildet das Jahr 1992 mit der „Einweihung der neuen Fuß- und Radwegebrücke“. Die historische Präsentation des neuen Michael-Jackson-Albums wird in dieser Chronik wohl nie verzeichnet werden – sie wurde der Gemeindeverwaltung von Sony nicht bekanntgemacht.

Schade eigentlich. Ist Sulzbach doch ein Idealort, fast so schön und kinderfreundlich wie „Neverland“, die kalifornische Wunder-Ranch von Michael. Der ganze Dorfkern zur Tempo-40-Zone erklärt, von einem riesigen digitalen Tacho am Straßenrand überwacht. Der zeigt den AutofahrerInnen ihre momentane Geschwindigkeit an: „Sie fahren 41 km/h.“ An jeder Ecke stehen blitzsaubere gelbe und grüne Tonnen. Die Gemeinde besitzt zwei Bürgerhäuser, zwei Kindergärten und drei Altenheime. Es gibt sieben Spielplätze, eine Schießsportanlage sowie einen Bauhof „als besonders wichtige Einrichtung kommunaler Daseinsvorsorge“. 1985 zog auch die Kunst in die Gemeinde ein: Der „Käsfraa“ (Käsefrau) wurde ein Bronzedenkmal gesetzt, das an die traditionelle Herstellung von Handkäse auf den Sulzbacher Bauernhöfen erinnert (siehe Foto) – Disneyland ist ein Witz dagegen!

Eine blühende Gemeinde. Sogar das Kriegermahnmal ist ein politisch korrekter Klotz irgendwo zwischen Kollwitz und Barlach. Und exotische Tiere, die besten Freunde von Michael Jackson, gibt es hier auch. Nur ein paar Kilometer weiter in dem von Automobilerben gegründeten „Opel-Zoo“.

Zurück zum MTZ. Ihm verdankt Sulzbach seine gesamte kommunale Pracht – das Gewerbesteueraufkommen ist so hoch, daß Sulzbach zur zweitreichsten Gemeinde Hessens wurde. Hier in der „Erlebnis-Stadt MTZ“, wo sich sonst „Clown Hippolito“ oder der „Fremdenverkehrsverein Süd- Sauerland“ präsentiert, durfte Videojockey Heike Makatsch von Viva Michael Jacksons 15 neue Songs vorstellen (die Viva-Frau blieb übrigens die einzige Prominente an diesem Abend).

Nach einem Stehempfang mit Sekt, Nachos und Popcorn, der eine Atmo von Betriebsausflug und Butterfahrt verströmte, erklang Carl Orffs „Carmina Burana“. Dann wurde im Dunkel des Kinosaals 1 die neue Platte gespielt, mit alten Dias von Michael illustriert und kommentiert von Makatsch. Anschließend kaltes Buffet.

Es ist eine Platte geworden, mit der sich Jackson ein Denkmal setzen will (aus Beton wie von Albert Speer, siehe Coverfoto). Musikalisch härter und stimmlich rauher als je zuvor, klagt er diesmal nicht nur über die schlimmen Zustände auf „unserem Heimatplaneten“ (Sony) – nein, Jackson hat es ganz besonders auf alle diejenigen abgesehen, die ihn mit der Kindersex- Kampagne fertigmachen wollten. Dies kommt explizit in den Texten zum Ausdruck, wird mit harten Beats wie aus dem Maschinengewehr sowie dem bösen Wort „Fuck“ unterstrichen, das er angeblich erstmals benutzt. Jackson schlägt um sich, mit Raps und schmuddeligen Gitarrensolos, manchmal spuckt seine Stimme fast. Freßgeräusche – da möchte einer seine Gegner verputzen. Als Verdauungshilfe sind freilich einige Balladen und Ökoklagelieder eingestreut, auch das lang erwartete Duo mit Schwester Janet und ein Beatles-Coverstück (mehr dazu in einer Kritik im Juni).

Ach ja, im MTZ steht schon das nächste historische Musikereignis vor der Tür: Am 6. Juni wird „im Festzelt vor Horten die Trachten- und Tanzkapelle Heinz Stadler“ aufspielen. Hans-Hermann Kotte

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