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Was heißt denn hier "anders"?

■ Betr.: "Sind Ostfrauen wirklich anders?", taz vom 27.4.92

Betr.: »Sind Ostfrauen wirklich anders?«,

taz vom 27.4.92

Ich weiß zwar nicht, aus welchem Teil Deutschlands Petra Brändle stammt, aber die Titelzeile läßt mich denken, daß auch in der Berlin-Redaktion der taz anscheinend die West-Norm als Maß aller Vereinungsdinge genommen wird.

Was heißt denn hier »anders«? Anders als was oder wer? Anderssein worauf bezogen? [...] Ich habe den Eindruck, daß sich die Autorin des Artikels in ihren Schlußfolgerungen als eine Frau darstellt, die ebenfalls keine Anstrengungen unternimmt, sich näher auf die Unterschiede in den Lebensläufen der Frauen aus Ost und West einzulassen. Es war doch zum Beispiel in der DDR völlig nebensächlich, ob die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches und die Einführung des Babyjahres für Männer eventuell Reaktionen auf Vorgänge in der BRD waren. Da ist doch nichts Provokantes daran, eine solche These aufzustellen. Im Leben der Frauen und aller anderen Bewohner in den beiden ehemaligen deutschen Staaten waren ganz verschiedene Dinge selbstverständlich und andere wiederum problematisch. Meiner Meinung nach liegt hier das Problem, das West- mit Ostfrauen haben und umgekehrt.

Warum sollten sich denn jetzt die Ostfrauen mit den ersten Problemstellungen der westlichen Frauenbewegung herumschlagen, wenn sie doch gerade jetzt ganz andere Schwierigkeiten in diesem neuen deutschen Staat haben. Die Frage, ob Mann und Frau nun als »ÄrztIn« bezeichnet werden (wie maskuliniert man denn nur die Pünktchen über dem A?), ist doch völlig nebensächlich neben dem Problem, daß die Ärztin oder der Arzt eine Anstellung finden muß oder eine Praxis eröffnen will.

Ich denke, die gesellschaftlichen Gegebenheiten sollten von der jeweils anderen Seite —unabhängig von der Intention des Staates— zu verstehen versucht werden. Aus diesem Verständnis heraus könnte dann vielleicht auch eine Akzeptanz der unterschiedlichen Wichtigkeit von einzelnen Problemen entstehen. Ich denke, erst dann finden Ost- und Westfrauen eine gemeinsame Sprache zu den jetzt anstehenden Problemen, die ihnen von unserem System aufgezwungen werden. Rainer Schöbel, Prenzlauer Berg

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