: Was Volkes Wille wert ist
Im Alleingang will die CDU das per Volksentscheid beschlossene Wahlrecht heute wieder abschaffen. Bürgermeister von Beust schweigt beharrlich zum Thema. Nach der GAL will nun auch die SPD klagen
Von MARCO CARINI
Die CDU will heute den Willen des Volkes brechen. Nach monatelangen Vorbereitungen will ihre Fraktion in der Bürgerschaft das neue, per Volksentscheid beschlossene Wahlrecht kippen und durch ihr eigenes ersetzen. Damit wird nicht nur ein weiterer Volksentscheid ausgehebelt, sondern auch erstmals in der Hamburger Nachkriegsgeschichte eine Wahlrechtsänderung von der Regierungsfraktion gegen alle Oppositionsparteien durchgestimmt.
Der Tag vor der Wahlrechtsänderung war der Tag der letzten Appelle an die CDU und ihren Bürgermeister Ole von Beust. Rund 30 prominente Hamburger Schauspieler, Wissenschaftler und Juristen forderten den Bürgermeister auf, die Wahlrechtsänderung in letzter Minute doch noch zu stoppen. In dem von Hannelore Hoger, Sky Dumont, Bischöfin Maria Jepsen, dem Hamburger Ex-Vizebürgermeister Helmuth Kern sowie 30 anderen bekannten Hamburgern unterzeichneten offenen Brief heißt es: „Dieser Vorgang ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik und beschädigt den Ruf Hamburgs als Stadtstaat mit gewachsenen demokratischen Gepflogenheiten.“
Auf eine Antwort von Ole von Beust warteten die Unterzeichner vergeblich. Durch Senatssprecher Lutz Mohaupt ließ der Bürgermeister verlautbaren, er kommentiere „offene Briefe grundsätzlich nicht“. Stattdessen nahm CDU-Fraktionschef Bernd Reinert Stellung: Erhebliche Bedenken an dem 2004 eingeführten Wahlrecht machten es notwendig, einige Punkte des Gesetzes zu ändern. Die CDU habe der SPD und der GAL Gespräche angeboten, „die aber rundweg abgelehnt“ worden seien. Daher stehe die CDU-Fraktion „in der Verantwortung zu handeln“, um künftig „arbeitsfähige Parlamente“ in Hamburg zu ermöglichen.
Das Schweigen des Bürgermeisters, der sich in der öffentlichen Wahlrechtsdebatte bislang weggeduckt hat, ist von der Opposition bereits zum wiederholten Male kritisiert worden. Von Beust halte es offenbar „nicht für nötig, sich mit dem Wahlvolk auseinander zu setzen“ und ziehe es stattdessen vor, „sich hinter dem schmalen Rücken seines Fraktionschefs zu verstecken“, grantelte der GAL-Wahlrechtsexperte Farid Müller.
Auch SPD-Innenexperte Andreas Dressel bemühte sich, den Bürgermeister in die Pflicht zu nehmen. Mit seiner Richtlinienkompetenz lägen in dieser zentralen Frage „Entscheidung und Verantwortung“ eindeutig bei von Beust. Dieser sei „Regisseur in einem unwürdigen Drama um einen wesentlichen Bestandteil von Hamburgs Demokratie“.
„Vielleicht werden ja noch einige Abgeordnete krank“, hoffte gestern Manfred Brandt, Sprecher der Initiative „Mehr Demokratie“ mit Blick auf die heutige Abstimmung. Dies sei jedoch unwahrscheinlich. Sollte die CDU-Fraktionsführung ihren Willen durchsetzen, werde die Initiative den Rechtsweg gegen die CDU-Novelle einschlagen: „Als Initiator haben wir die Pflicht, dieses Volksgesetz zu verteidigen“, findet Brandt. Da in diesem Fall „rechtliches Neuland“ beschritten werde, sei der Ausgang jedoch nicht absehbar. „Aber wir hoffen, dass der Schaden an der Demokratie behoben werden kann“, sagte Brandt.
Zwar hat sich die SPD bislang noch nicht offiziell erklärt. Dem Vernehmen nach will sie jedoch der von der GAL initiierten Wahlrechtsklage vor dem Hamburger Verfassungsgericht beitreten. Erst dadurch wird die juristische Prüfung überhaupt möglich, da ein solches Verfahren nur von mindestens 20 Prozent aller Bürgerschaftsabgeordneten angestrengt werden kann.
Heute Abend debattiert zum vorläufig letzten Mal die Hamburger Politik über die Wahlrechtsnovelle – ab morgen haben dann die Juristen das Wort.