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■ Was Frauen- und Männerindustrien unterscheidet...und sie gingen brav nach Hause

Seit zehn Tagen schon dauert der Hungerstreik in Nordhorn. Heute hat sich ein Protestzug der von Entlassung Bedrohten in Richtung Bonn in Bewegung gesetzt. Nach dem Erfolg der Kolleginnen in Plauen, die vor einigen Wochen mit vielfältigen Protestaktionen den Erhalt der traditionellen Spitzen-Produktion erreichten, hoffen die Textilarbeiterinnen Nordhorns ebenfalls auf Subventionen vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen.

Von diesen Protesten haben Sie noch nie etwas gehört? Selbstverständlich nicht: Die Ereignisse gab es nicht, ebensowenig wie die Massendemo in Hof oder Augsburg, in Zwickau oder Neugerdorf. Wie in Bischofferode oder Rheinhausen, in Bremen, Eisenhüttenstadt oder Dortmund, stirbt auch dort eine strukturbestimmende Branche, nur eben nicht Bergbau und Stahl, sondern Textil und Bekleidung, eine Frauendomäne. In Nordhorn verschwand mit der Nino AG jeder siebte Arbeitsplatz – und die Frauen gingen brav nach Hause. Wäre Nino ein Stahlwerk gewesen, wären die dort beschäftigten Männer ganz sicher auf die Straße gegangen, bevor sie auf ihr landeten. Die ganze Region hätte ihre protestierenden Stahlkocher unterstützt – allen voran die Frauen, wärmenden Kaffee und Brote bereithaltend.

Der Protest war nie umsonst. Keine Regierung innerhalb der Europäischen Union sieht tatenlos zu, wenn ein Stahlstandort stirbt. Sie würden sich gegenseitig im Subventionieren noch überbieten, wenn sie nicht irgendwann einmal der EU das Recht (und die Pflicht) aufgebürdet hätten, die Verteilung der Staatsgelder an Stahlwerke zu koordinieren. 2,75 Milliarden Mark öffentliches Geld darf der Erhalt von Eko-Stahl nun kosten. Fünf Milliarden gingen in den Erhalt der Werftstandorte Mecklenburgs. Der Elf Aquitaine reichen die zwei Milliarden Investitionshilfe für den Bau einer Raffinerie in Leuna nicht? Dann wird man zwischen Wirtschaftsministerium, Treuhand und impotentem Investor eben eine „tragfähige Lösung“ zu Lasten der Staatskasse finden.

Marktwirtschaft pur vertragen die alten Massengüterbranchen der westeuropäischen Industrieländer offenbar nur sehr bedingt. Sie zu erhalten, und in welchem Umfang, ist mehr und mehr zu einer politischen Entscheidung geworden – und deren Grundlage ist wohlorganisierter Druck.

Gegen die Herren im Wirtschaftsverband Stahl und in der IG Metall könnte in Nordrhein-Westfalen niemand regieren. Wenn „das Ruhrgebiet brennt“, herrscht Großalarm in der ganzen Republik. Die Frau jedoch leidet still. Wer kennt hierzulande schon den Unternehmerverband Gesamttextil? Und auch die in der Gewerkschaft Textil-Bekleidung organisierten Frauen haben noch nicht gemerkt, daß Nähnadeln sich zum Pieksen eignen.

Noch immer aber arbeiten mit rund 300.000 doppelt so viele Menschen bei Textil und Bekleidung wie in Bergbau und Stahl. Da sollte bei der nächsten Standortschließung ein regionaler Aufstand mit Solidaritätsstreiks an den anderen Stoffstandorten drin sein. Donata Riedel

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