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Warum wird mohammad bei ziegen bloss nicht sentimental? Das könnte damit zu tun haben, dass er aus einer syrischen grossstadt kommt und nicht aus irgendeinem lochSpätzünder

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Nicht? Das Ausbleiben von Mohammads Begeisterung führe ich auf seine fehlenden Dänischkenntnisse zurück. Ich hebe meine Hände zu Hörnern an die Schläfen, „wir können sie uns noch schnell angucken gehen“, sage ich, aber da kommen uns die drei Kuchen mit Rosenwasser, Pistazien, gerösteten Fadennudeln und Frischkäse dazwischen, und wir fahren zum Integrationstag in Stege. Im Regen ziehen wir uns Neoprenanzüge an, stapfen mit den dänischen Natureguides ins kalte Meer und keschern nach Krebsen, Fischen und Krabben.

Es überrascht mich, mit wem ich jahrelang unwissend das Meer geteilt habe. Die Somalierinnen bleiben draußen. Am besten finden es die Kinder und die jungen Männer. Sie rauchen im Meer und stecken sich Kippen in die Kragen ihrer Anzüge.

Auch ein paar Wochen später, als ich frage, wie groß Aleppo eigentlich ist, fällt bei mir der Groschen nicht. „Im Augenblick weiß ich das nicht mehr“, sagt Mohammad, „aber vor drei Jahren“, als sie geflohen sind, „waren es vier Millionen.“

„Habt ihr ein paar Fotos?“ – „Nein, die Polizei hat damals unsere Wohnung zerlegt.“ Sagt Mohammad. An ihren Wänden in der Dreizimmerwohnung hängt, was sie in Zweiterhandläden gekauft und für dänisch gehalten haben: Weihnachtssammelteller, ein Schlüsselbrett mit Jagdmotiv. Die einzigen Bilder sind im großen Fernseher.

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass sie gar kein Bild von ihrem ehemaligen Leben zur Verfügung haben, dass ich es nicht einmal auf der Heimfahrt bemerke. In ihrer Siedlung mit hohem Ausländeranteil werfen nur Supermärkte ihr Licht auf die menschenleeren Straßen.

Warum sollten sie so mordsmäßig erleichtert sein, hier angekommen zu sein, denke ich, und weiß, dass sie es dennoch sind, obgleich es alles nicht so leicht ist. Mohammads Frau hat chronische Kopfschmerzen, seit der Polizist vor drei Jahren zugetreten hat, Mohammad ist Legastheniker. So dauert es für die beiden lange, mit dem Sprachenlernen, so ist der Weg weit bis zum Arbeitsmarkt.

„Ich wünschte, die drei würden näher bei uns wohnen,“ sage ich zu meinem Mann. „Wieso, auf Møn gibt’s doch bestimmt auch Syrer,“ sagt mein Mann. Hat er recht, ist es mir egal, was für ein Syrer? Hauptsache Kaffee mit Kardamom und Bindfadennudelkuchen?

Vielleicht kann ich mir ja auf Møn einen besseren Ausländer suchen, einen der richtig was erlebt hat, nicht nur ’ne mickrige Hausdurchsuchung, die folgenschwer, aber ja doch unspektakulär drei Jahre später ihre langen Schatten auf den Wohnblock in Nyköbing wirft. Einen mit Gummiboot, und nicht mit gefälschtem Pass und Flugzeug?

„Würde heute 50.000 Euro kosten,“ sagte Mohammad. Ich bin froh, dass sie es damals für 20.000 geschafft haben – nein, so ist es nicht. Zumindest nicht nur …

Und so merke ich es also erst am Abend, beim Abwaschen der Milchflaschen, ich denke an Mohammad, wie er ohne jegliche Gesichtsbewegung im September einen Ziegenkaffeelatte getrunken hatte und denke plötzlich: Warum sollten Mohammad, Faridee und ihr Sohn beim Erwähnen von Ziegen Heimatgefühle bekommen? Warum sollten sie anders reagieren als Europäer? Aus was für einem Loch, denke ich denn, sind sie gekrabbelt?

Fast zwei Monate später fällt mir das ein, und das denke ich, ist eine späte Erkenntnis.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle.

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