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■ Warum sind die Exekutivorgane in die Krise geraten?Geheimsache Bad Kleinen

Der Vorgang ist einzigartig: Der Innenminister tritt zurück, der Generalbundesanwalt wird aus dem Amt entfernt, und weitere personelle Konsequenzen werden allseits als unvermeidlich bezeichnet. Der BKA- Chef Zachert gilt als weiterer Abberufungs-Kandidat. Das gleiche gilt für den Abteilungsleiter im Innenministerium, Walter Schreiber – der Kommandeur der Grenzschutz-Eliteeinheit GSG 9, Jürgen Bischoff, wird ebensowenig im Amt zu halten sein. Der Stuhl der Justizministerin wackelt inzwischen auch – die wilde Schießerei auf dem Kleinstadtbahnhof in Bad Kleinen hat sich nach zwei Wochen zu einer veritablen Krise der Exekutivorgane ausgeweitet. Wo Beamte und Politiker sonst bemüht sind, den Posten zu verteidigen, und Affären und Skandale aussitzen, werden nun mit einemmal zu einem Zeitpunkt Konsequenzen gezogen, an dem das Ausmaß des Skandals nicht einmal im Ansatz abzusehen ist.

Das Revirement nahezu aller Verantwortlichen läßt sich wohl nur auf den ersten Blick mit dem bösen Verdacht der zielgerichteten Erschießung des RAF- Mitgliedes Wolfgang Grams am Ort seiner Festnahme und der anschließenden Desinformationspolitik der Behörden erklären. Was kann so gravierend sein, fragt sich der geneigte Betrachter, daß jeder, der mit der Aktion zu tun hatte, plötzlich jede Rückendeckung verliert und aus dem Amt scheidet? Der Dreh- und Angelpunkt des Desasters in Bad Kleinen muß in der sogenannten „Vorlaufphase“ der Aktion liegen – und hier mauern die beteiligten Behörden, so gut sie nur können. Fragen nach der Rolle, die der V-Mann „Klaus“ des Verfassungsschutzes gespielt haben muß und welche Absichten die Behörden verfolgten, sind tabu. Geheimhaltung, versteht sich! Bekannt ist bisher nur, daß Frau Leutheusser-Schnarrenberger als eine der Eingeweihten schon am 14. Mai, also mehr als sechs Wochen vor dem Debakel in Bad Kleinen, von der geplanten Aktion unterrichtet war. Alles weitere verbirgt sich hinter einem Nebel aus Dienstgeheimnissen. Es wird nicht einmal erklärt, wer den „Vorgang klassifiziert“ und mit dem Stempel „geheim“ versehen hat. Drei Sondersitzungen der Rechts- und Innenausschüsse haben den Hergang in Bad Kleinen nicht aufhellen können, ein Untersuchungsausschuß wird mit den Stimmen der Oppositionspartei SPD abgelehnt. Wenn überhaupt einer der Eingeweihten den Mund aufmachen will, dann höchstens in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die wiederum hat den Vorteil, daß deren auserwählte Mitglieder der Schweigepflicht unterliegen. Das Verwirrspiel um die Ereignisse bei der Festnahme setzt sich fort mit einer Nachrichtensperre, die über den „Vorlauf“ verhängt wird. Die Parlamentarier – sie schauen ohnmächtig zu. Wolfgang Gast

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