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■ Warum es rechten Heß-Gedenkern wieder gelang, eine „Spontandemonstration“ zu veranstaltenDie Blamage von Fulda

Die „Blamage von Rudolstadt“ im Jahre 1992 hat sich in Fulda wiederholt: Ohne daß die massiven Polizeikräfte vor Ort eingriffen, konnten erneut Alt- und Neofaschisten aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland den als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilten und 1987 durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Stellvertreter von Adolf Hitler, Rudolf Heß, „hochleben“ lassen – auf einer Kundgebung mit anschließender „Spontandemonstration“ (Polizei) durch die barocke Domstadt.

Die Einsatzleitung in Fulda hat damit nicht nur den strapaziösen Einsatz von knapp 10.000 Polizisten und Bundesgrenzschutzbeamten in Thüringen, Sachsen und Bayern ad absurdum geführt, denen es an diesem Sonnabend gelungen war, den Aufmarsch der Rechtsextremisten (fast) überall zu verhindern. Mit ihrer demonstrativen Untätigkeit in Fulda hat die Polizei erneut auch die von ihr (unisono) als „Unterstellung“ zurückgewiese These von der „Blindheit auf dem rechten Auge“ untermauert.

Spontandemonstrationen angeblich linksradikaler Gruppierungen in diesem Lande wurden bislang mit aller Härte unterbunden: Der „Polizeikessel“ kochte die Demonstranten aus dem autonomen/antiimperialistischen Lager weich. Und zum Dessert hagelte es Schlagstockhiebe – zuletzt bei einer Spontandemonstration linker Gruppen nach den Morden in Solingen in Frankfurt am Main.

In Fulda hatte die Polizei die alt- und neofaschistischen Aktivisten aus allen legalen und verbotenen – und deshalb inzwischen umfirmierten – Organisationen der rechtsextremistischen Szene auf dem Domplatz bereits locker eingekesselt. Doch als sich nach der Kundgebung die knapp 500 Glatz- und Hohlköpfe zur verbotenen Heß-Demonstration formierten und auch abmarschierten, rührte kein Beamter auch nur einen Finger. Mit FAP-Fahnen und Reichkriegsflaggen zogen die Rechtsextremisten dann wie im Triumphzug durch die Domstadt: Man(n) hatte schließlich 10.000 Polizisten und Bundesgrenzschützer einen Tag lang genarrt – und am Ende doch den „Sieg!“ davongetragen.

Daß sich die Einsatzkräfte – nach Angaben aus dem hessischen Innenministerium – darauf konzentriert hätten, eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen rechtsradikalen und linken Gruppierungen in Fulda zu verhindern, ist eine Schutzbehauptung. Die Busse der Antifaschisten wurden mit einem Großaufgebot an Polizisten an der Weiterfahrt nach Fulda gehindert. Den Rechtsextremisten liefen dagegen gerade knapp 60 Polizisten hinterher – ohne Zugriffsauftrag. Mit einer umgekehrten Einsatzstrategie und mit Zugriffsauftrag hätte der verbotene Aufmarsch der Faschisten in Fulda verhindert werden können.

So durften in Fulda – wie in Rudolstadt 1992 – einige hundert Rechtsradikale den „Rechtsstaat“ und seine Exekutivorgane vorführen: Ein Triumph für Worch und die ganze Alt- und Neonaziszene mit fatalen Folgen für die ohnehin labile psychische Befindlichkeit des Landes. Klaus-Peter Klingelschmitt

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