: Warme Winterkutten
Routiniert einlullen: Sarah Schmidt stellte im Möbel Olfe ihren ersten Roman vor
Auch wenn das Möbel Olfe noch nicht ganz so betagt ist wie alle anderen Kneipen in der Kreuzberger Ausgehlandschaft: Es passte, dass Sarah Schmidt ihre Buchpremiere hier stattfinden ließ, die Lesung aus ihrem soeben erschienenen Roman, der im Winter 1986 spielt, als Kreuzberg unter einer „dichten, gelblich grauen Dreckwolke“ lag, „die dem Geruch und Aussehen nach die Vermutung nahe legte, Berlin würde hauptsächlich mit Autoreifen geheizt“. Womöglich lag es auch an den Besuchern mit ihren grauen Winterkutten, dass dieses diffuse 1987-Gefühl aufkam.
Sarah Schmidt hat mit „Dann machen wir’s uns eben selber“ – mit trockenem Charme verkündet sie zu Beginn der Lesung, dass sie den Titel mittlerweile gut findet – ihren ersten Roman vorgelegt. Kennen konnte man sie schon vorher: Aus dieser oder anderen Zeitungen beispielsweise oder als Mitwirkende bei „Dr. Seltsams Frühschoppen“ und Gelegenheitsgast bei anderen Lesebühnen. Lange Zeit war sie die einzige Frau , die regelmäßig in diesem Jungs-Karohemden-Flaschenbier-Universum auftrat. Dementsprechend routiniert präsentiert sie ihren Roman. Schmidt hat sich zum Vorlesen Szenen herausgepickt, in denen es etwas zu lachen gibt. Anders als in vielen Kreuzberg-Romanen mit ihrer düster-melancholischen Abgehangenheit, die Berlin in den langen, kalten Monaten ausstrahlt – besonders damals, als zwar niemand arbeiten, sich dafür aber jeden Tag stundenlang mit der Fütterung der Ofenheizung beschäftigen musste –, geht es bei Sarah Schmidt nur peripher um dieses Setting. Schmidts Heldinnen haben schlimmere Sorgen. Josy und Maria sind jung, arm – weil von Sozialhilfe lebend – und haben kleine Kinder. Die macht der Winter derart krank, dass der Kinderarzt mit strengem Blick die Flucht aus Berlin nahe legt. Gar nicht so einfach, wenn man kein Geld hat. Das Müttergenesungswerk kommt nicht in Frage, weil es „ein Überbleibsel aus der Nazi-Zeit“ ist – davon ist Schmidts Ich-Erzählerin Maria überzeugt. Die Lösung ist ein Reisegepäckversicherungsbetrug, mit dessen Ertrag sich Josy und Maria samt Kindern für zwei Monate nach Mallorca absetzen.
Doch der Ort, an dem die vier landen, ist mindestens ebenso trist wie das winterliche Berlin – nur dass es nicht mal Menschen gibt, mit denen man saufen gehen könnte. Cala Salyoza ist ein völlig verlassenes Feriendorf. Im einzigen Café, das zu dieser Jahreszeit geöffnet hat, löst ein altes Ehepaar Kreuzworträtsel: „Als der Stift des Mannes nicht mehr schrieb, schnipste er wirsch mit dem Finger. Seine Frau sah unwillig auf und kramte dann in ihrer Handtasche nach einem neuen.“ Wie Josy und Maria ihre Zeit rumkriegen und ihren kleinen Betrug inszenieren – und das, obwohl es in dem Ort gar niemand gibt, der sie entlarven könnte –, das beschreibt Schmidt ziemlich unterhaltsam. Manchmal allerdings gerät ihr die Geschichte etwas zu ausgedehnt. Da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Schmidt keiner hübschen Idee und keiner Anekdote widerstehen kann – egal, ob es gerade passt.
Vielleicht ist das aber auch eine geschickte Strategie, um den Leser einzulullen und ihn umso gnadenloser in das banal-schreckliche Schlussszenario zu schubsen. Wie sich dieses gestaltet: das wird hier natürlich nicht verraten. Auch bei der Lesung wurde nichts angedeutet. Sarah Schmidt versprach nur, dass man auch noch Sex zu lesen bekomme, wenn man das Buch kauft – und tröstete die schwarz gekleideten Winterfürchter damit, dass es solche schönen Herbsttage, wie wir sie derzeit haben, 1987 noch gar nicht gab.
STEPHANIE GRIMM
Sarah Schmidt: „Dann machen wir’s uns eben selber“. Verbrecher Verlag 2004, 160 Seiten, 13 €