Warenkunde: Der Duft der Kapitalismuskritik
"Ne travaillez jamais" - einst Protestparole, heute Parfumslogan einer Künstlerin. Kaum etwas wird schneller kommerzialisiert als das "Dagegen".
In einem Schaufenster in Stuttgart steht zurzeit ein Parfum mit dem Namen "Ne travaillez jamais": "Arbeitet niemals!" Dieses Schaufenster gehört aber zu keinem Laden, sondern befindet sich im Kunstmuseum; es ist Teil einer großen Ausstellung Josephine Mecksepers. Die Künstlerin, die sich selbst als Kapitalismuskritikerin bezeichnet, verbindet in ihrer Arbeit immer wieder Konsum- und Protestkultur: Sie setzt einer erotisierenden Strumpfhosen-Verpackung zerborstene Spiegel entgegen oder bringt Jeanswerbung mit Bannern gegen den Irakkrieg zusammen. Solche Gegenüberstellungen sollen als Mahnung wirken; sie stören den schönen Schein des Konsums.
Spätestens seit den berühmten Benetton-Kampagnen der frühen 1990er-Jahre greifen jedoch viele Unternehmen ihrerseits politische Themen auf und verbinden ihre Produkte mit dem hässlichen Alltag, anstatt ihn auszublenden. Sie stellen sich als engagierte Akteure dar, bemühen sich um Identifikationspotenziale - und hoffen so auf mehr Umsatz: Marken wie Body Shop sprechen Umweltverschmutzung und Arbeitslosigkeit an, und aus Palästinensertüchern und anderen Elementen der Demonstrationskultur sind Modeaccessoires geworden (auch das macht Meckseper immer wieder zum Thema ihrer künstlerischen Arbeit).
Tatsächlich wird kaum etwas so schnell und zuverlässig kommerzialisiert wie Protest: Jede oppositionelle Gruppe gilt als potenzielle neue Zielgruppe - und oft auch als Vorzeichen eines gesamtgesellschaftlichen Wertewandels. Damit tun sich Marktlücken auf. Allerdings ist die Kommerzialisierung keine so einfache Sache. Dass etwas auf einmal zur Ware wird, verändert oft seinen Charakter. Gerade Mecksepers Parfum ist ein gutes Beispiel dafür.
So stammt die Parole "Ne travaillez jamais" ursprünglich von den Situationisten, die in den 1950er-Jahren gegen die Entfremdungen der Arbeits- und Industriegesellschaft agitierten; Guy Debord, ihr Initiator, soll sie erstmals 1952 auf eine Mauer an der Seine in Paris geschrieben haben. Auf einem Flacon verwandelt sie sich jedoch in eine ziemlich dandyhafte Losung: Der Appell, nicht mehr zu arbeiten, scheint nun, in Verbindung mit einem Luxusprodukt, von jemandem zu stammen, der es nicht nötig hat, sein Geld selbst zu verdienen - der gut geerbt oder genügend auf seinen Konten angesammelt hat und sich nur noch um Lifestyle zu kümmern braucht. Aus einer sozial engagierten Parole ist das Statement einer großkotzig-selbstzufriedenen Haltung geworden.
Ob Meckseper das im Sinn hatte, ob sie also die Kommerzialisierung politischen Protests decouvrieren wollte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall aber erinnert ihr Parfum daran, wie viele Produkte mittlerweile mit politischen und moralischen Botschaften versehen werden, ja wie sehr gerade das Feld des Konsums ein Terrain der Gesinnungsethik geworden ist. Dabei finden sich nicht nur die Werte, die zuerst von Linken und Alternativen stark gemacht wurden, immer wieder in Imagekampagnen und auf Verpackungen. So leben etwa die Rapper in ihren Produktwelten den Protest einer sozialen Schicht aus, die nur mit dem Einsatz von Ellbogen zum Erfolg kommt.
Um beim Parfum zu bleiben: Einer der erfolgreichsten Düfte der letzten Zeit stammt von P. Diddy, der ihn mit seinem Modelabel Sean John unter dem Namen "Unforgivable" auf den Markt gebracht hat. Er sieht darin "kompromisslose Stärke" ausgedrückt; seiner Kundschaft will er signalisieren, dass es am besten ist, hart aufzutreten - also nach bürgerlichen Maßstäben etwas Unverzeihliches zu tun. Für Mitgefühl und Sanftmut sei die Welt nämlich zu schlecht: "Man muss doch jeden Tag gegen jemanden in die Schlacht ziehen", so fasst P. Diddy seine Lebenserfahrung zusammen. Daher hat er nicht einmal ein Problem damit, dass die Produkte seiner Kollektionen von Billiglohnarbeitern in Asien fabriziert werden.
Allerdings verendet der Protest bei "Unforgivable" genauso schnell wie bei "Ne travaillez jamais", bezieht man den Namen doch auch hier auf den Duft, den er benennt: Aus der Losung einer antibürgerlichen Opposition wird eine frivol-augenzwinkernde Geste, ein Gag. Es geht nicht mehr um Widerstand, Schuld, Reue und Verzeihung; vielmehr wird mit einem unerwarteten Namen ein Klima des Frechen und Coolen erzeugt. Das genügt auch für den Erfolg des Produkts, nicht jedoch zur Kultivierung einer Lebenshaltung: Als schrilles Zitat bricht sich die Botschaft des Protests und wird nur noch ironisch vernehmbar. Wer es ernst meint und will, dass politische Werte auch im Gewand der Ware noch wirken, darf also nicht nur zitieren und mit einzelnen Accessoires arbeiten, sondern muss ein stimmiges Umfeld schaffen. Protest braucht Resonanz und ein glaubwürdiges Ambiente - sonst wird er zum Witz.
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