Warenkunde "Manufactum": Die Schnittmenge von Schwarz-Grün
Bürgerliche Ordnungssehnsüchte meets Widerstandsfantasie: Bei Manufactum wurde die schwarz-grüne Koalition vorbereitet. Hier verstehen sich Bürger und Freaks.
Allmählich wird es doch ernst: Schwarz-grüne Koalitionen sind nicht länger bloßes Gedankenspiel. Man muss also auch nach Orten suchen, an denen entsprechende Koalitionsverträge in würdigem Rahmen unterzeichnet und gefeiert werden können. Für Hamburg hat man sich den Kaisersaal des Rathauses für diese Zeremonie ausgesucht. Besser wäre sicher das Chilehaus gewesen. In ihm ist nämlich ein Laden von Manufactum, und der große Erfolg dieser Marke ließe sich als einer der ersten und stärksten Indikatoren für das Entstehen der neuen politischen Konstellation - geradezu als ihr Symbol - ansehen.
Vor genau zwanzig Jahren von Thomas Hoof gegründet und letztes Jahr an den Otto-Konzern verkauft, demonstriert das Sortiment von Manufactum mustergültig die Schnittmenge von Schwarz und Grün. Unter dem Motto "Es gibt sie noch, die guten Dinge" wird ein sentimentaler Ton angeschlagen und zugleich Widerstand gegen den drohenden Untergang signalisiert. So soll Kulturkritik direkt in Kauflaune münden.
Beklagt man in den üppigen Produktkatalogen das Schwinden von Handwerkstugenden, Materialgerechtigkeit und Qualitätsbewusstsein, so wird sowohl die konservative Angst vor Wertverlust wie die grün-alternative Sorge um Umwelt und Lebensqualität aufgenommen. Bedient werden antimodernistische Affekte und romantische Szenarien, in denen scheinbar bessere Vergangenheiten fortleben. Dank der Unschärfe, die alle Träume kennzeichnet, fließt auch mühelos ineinander, was sonst kaum vereinbar wäre: bürgerliche Ordnungssehnsüchte und Widerstandsfantasien gegen das Establishment. So gibt es bei Manufactum nicht wenige Artikel, die bei gestandenen Grünen eigentlich Misstrauen auslösen sollten. Wird eine Seife aus Marseille auf Ludwig XIV. zurückgeführt oder von einem Parfüm behauptet, es sei für Katharina von Medici kreiert worden, dann verklärt das nicht nur eine prädemokratische, feudale Welt, sondern suggeriert dem Konsumenten zugleich, er könne sich dank Manufactum gesellschaftlich upgraden. Das alte Defizitgefühl der Bürger gegenüber dem Adel, vermeintlich längst überwunden, lebt hier merkwürdig wieder auf.
Andererseits gibt es Absinth im Angebot. Angepriesen wird er mit dem Argument, er sei das "Kultgetränk der Bohemiens". Und von einer Tomate in der Dose ("San Marzano") heißt es gar, sie sei "die Anti-Chiffre zur EU-Tomate". Damit hat man unbürgerliche Milieus im Blick, die sich über Opposition definieren - und den meisten CDU-Wählern eher fremd sein dürften. Doch werden solche Differenzen bei Manufactum nicht zum Problem; auf dem Terrain der Vergangenheit verstehen sich Möchtegern-Adlige und Außenseiter, gute Bürger und Bürgerschrecks vielmehr prima. Mit zahlreichen Waren sind aber auch ausdrücklich beide Gruppen angesprochen. Das gilt vor allem für die Produktlinie "Gutes aus Klöstern", kommen hier doch christliche Grundhaltung und entschleunigtes, ökologisch behutsames Handeln zusammen. Da kann im Werbetext für ein Olivenöl durchaus zuerst die Heiligste Dreifaltigkeit beschworen werden, bevor man den zertifiziert-biologischen Landbau preist. Schwärzer und zugleich grüner geht es kaum.
Davis Brooks, Redakteur bei der New York Times, hat bereits im Jahr 2000 einen schönen Begriff geprägt, um die erstaunliche - und offenbar nicht nur deutsche - Symbiose konservativer und alternativer Strömungen auszudrücken. Er sprach von den Bobos, den bourgeoisen Bohemiens, die zugleich nach Sicherheit und nach Unabhängigkeit streben, ja die gleichermaßen arriviert und unangepasst sein wollen. Und in Deutschland ist seit letztem Herbst, ausgehend von einem Zeit-Artikel Henning Sussebachs, die Wendung "Bionade-Biedermeier" in Umlauf, um dasselbe Phänomen zu beschreiben. Interessant ist, dass beide Begriffe aus einer Analyse von Konsumgewohnheiten hervorgegangen sind, soziologische Entwicklungen sich also, wie es scheint, am genauesten an Veränderungen bei Produktpaletten ablesen lassen. Dabei ist anzunehmen, dass das Warenangebot nicht nur Mentalitätslagen spiegelt, sondern sogar noch weiter ausprägt. Immerhin fungieren Produkte als Medien: In ihnen drücken sich Werte aus, und mit ihrem Gebrauch übt man diese gleichsam ein. So werden sie schließlich zur "altera natura", ja gehen in Fleisch und Blut über.
Auch insofern hätte Manufactum es verdient, als Hintergrundkulisse für einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag zu dienen. Ohne diese Marke wäre es nämlich vielleicht noch gar nicht so weit gekommen. Und eventuell hätte sie sogar den Wein gestiftet, mit dem die Koalitionäre anstoßen könnten: einen roten Agathon aus klösterlich-biologischem Anbau: einen "ehrlich kräftigen Wein, der noch unverdorbenen Geschmack offenbart".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe