■ Wann ist ein Apfel eigentlich ein Apfel?: Die knackige Ingrid Marie
Kopenhagen (taz) — Ein neuer Teilnehmer ist in der dänischen Debatte um Maastricht aufgetaucht. Oder besser: eine Teilnehmerin. Ingrid Marie heißt sie, ist beliebt, lecker, rotbäckig und — ein Apfel.
Ingrid Maries gibt es zur Zeit auf jedem dänischen Markt zu kaufen. Doch droht der beliebtesten einheimischen Apfelsorte nun plötzlich Ungemach aus Brüssel. Für Brüssel sind die dänischen Ingrid Maries nämlich gar keine Äpfel. Ein Apfel, so die EG-Regel, ist nur dann ein Apfel, wenn er 65 Millimeter Durchmesser hat. Das mag für Südtiroler Zuchtobst ein lächerliches Problem sein, nicht aber für die dänischen Ingrid Maries. Sie wachsen da nicht so schnell, und gerade in diesem heißen Sommer waren sie in Massen reif, bevor sie das 6,5-Zentimeter- Mindestmaß erreicht hatten.
Nach dem Brüsseler Maß dürften die kleinwüchsigen Leckerbissen eigentlich auf keinem Markt auftauchen. Nicht nur in keinem EG-Land, auch in Dänemark selbst nicht. Denn bis 64 Millimeter ist ein Apfel nicht Menschennahrungsapfel, sondern Industrieapfel. Und weil in diesem Jahr sowieso halb Europa in der Apfelschwemme erstickt, wäre das eigentliche Schicksal der meisten dänischen Ingrid Maries vorbestimmt: die Müllhalde — wenn Brüssel so darf, wie es will.
Doch dagegen hat sich jetzt ein kleiner Aufstand in Dänemark erhoben. Alle EG-Themen sind angesichts der in einigen Monaten anstehenden neuen Maastricht- Abstimmung extrem sensibel. Eine unpopuläre Entscheidung der Brüsseler Bürokraten, und die Neinstimmen legen gleich wieder ein paar Prozentpunkte zu. Die Boulevard-Presse ist voll auf das Apfel-Thema eingestiegen. „Ingrid Marie ist ein gutes Beispiel“, so die sozialdemokratische Det fri aktuelt, „für die Lebenswerte und -qualitäten, die wir angeblich auch in Zukunft behalten dürfen, wie uns die Unions-Anhänger immer wieder versichern.“
Die knackigen Ingrid Maries als möglicher Knackpunkt für den dänischen Weg nach Maastricht? Die Gefahr hat auch Außenminister Uffe Ellemann-Jensen sofort erkannt. Wie er der Presse mitteilte, hat er das Problem mit dem britischen Premier John Major erörtert: „Ich habe ihm erklärt, daß die Ingrid Maries ein wichtiges Symbol für die dänische Erntezeit sind: rund, reif, ein bißchen bitter und dazu noch in den Nationalfarben Rot-Weiß. Er hat mich gebeten, eine Kiste zum EG-Treffen mitzubringen.“ Und so haben es die kleinwüchsigen Ingrid Maries zumindest schon geschafft, hand- vielleicht auch kaufester Gegenstand des EG-Gipfels am 16. Oktober in Birmingham zu werden. Reinhard Wolff
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