piwik no script img

Wand und BodenWarum geht man immer dahin, wo alle hingehen?

■ Kunst in Berlin jetzt: New Deal, Interface & Media, Bettina Allamoda

„All diese grundlos sich überlagernden Vorgänge auf Wand und Boden dienen dazu, die Muster auf diesen Oberflächen zu brechen und zu verwirren“, sprach einst (1951) der famöse Direktor des Museum of Modern Art, Alfred H. Barr, im Falle Matisse. All diese grundlos sich überlagernden Vorgänge auf Wand & Boden dienen dazu, so möchten wir ihn anläßlich Eran Schaerfs Installation in der Zwinger Galerie paraphrasieren, die Muster der Oberflächen zu stabilisieren, Ordnung zu schaffen. Fein säuberlich geführte, rosarot gelackte Bahnen Plastikstoff kreuzen sich mit Bahnen grauen Gittertülls, und auch ansonsten sind einige weitere Dinge fein säuberlich aufgereiht zu sehen. 1 schwarzes Garnrechteck, 1 Campinghocker mit Schnurbespannung, 2 ovale Blechdosen mit Rosendekor, 1 Lampenschirmgebilde mit Zeichnung, 1 weißer Hocker mit rosaroter „CIEL“-Betextung, mehrere Garnspulen und mehrere CIEL-Zeichnungen an Schnüre gehängt. Der Wort- Himmel hängt an einem dünnen Faden, einem Ariadnefaden, der nichts entdröselt, sondern alles mit allem verbindet. Aber Aufklärung ist auch dies.

Bis 21. November, Dresdener Straße 125, Di.–Fr. 15–19 Uhr, Sa. 11–14 Uhr

Matisse ist im Moment in New York angesagt, und alle gehen hin. Merkwürdigerweise gehen alle immer dahin, wo alle hingehen. Warum geht man nicht dahin, wo die Leute nicht gleich 600.000fach hinrennen, wie etwa zu der documenta IX., und sieht schon jetzt die Kunst, die man sonst erst bei der nächsten Großveranstaltung sehen wird? Zugegeben, manchmal sind die Orte der Erstaufführung schwer zu finden. Hinter asiatischen Lebensmittelmärkten und mit Billigschmuckangeboten verbauten Hofeinfahrten etwa. Aber voilà: das krude Leben vor der Tür korrespondiert wundersam mit der kruden Kunst hinter der Tür von Bruno Brunnet Fine Arts. Raymond Pettibon pinnt seine Blätter, wie es gerade kommt, an die Wände. Gerne zeichnet und schreibt er gleich auf den Wänden weiter. Seine kunstlosen Skizzen in ihrer kunstlosen „Hängung“ haben etwas Unsägliches. Man sollte sein „Paint the all unutterable“ also nicht pathetisch mit „Male das Unaussprechliche“ übersetzen. Zeige das Klägliche, das Unsägliche des Pandämoniums populärer Kulte. Zu Codes verkürzte Kommunikation, Comic/Pop-Sprache, verbal und visuell. „Helter Skelter“ hieß die Ausstellung in Los Angeles im letzten Jahr, in der Raymond Pettibon Aufmerksamkeit erregte. Der Beatles-Songtitel, der an den Orten von Charly Mansons Ritualmord-Schlächtereien zu finden war, sollte das Noir Los Angeles benennen. Raymond Pettibon: eine Pop-line, ein Comic-Souvenir, ein Kultobjekt des Massengeschmacks begleitet immer das Entsetzliche, das Unsagbare.

New Deal. Sechs zeitgenössische amerikanische Künstler: Mike Kelley, Felix Gonzales-Torres, John Miller, Sean Landers, John Currin und Raymond Pettibon, bis 4. November, Wilmersdorfer Straße 60/61, 2. Hinterhof, Mo.–Fr. 10–18.30 Uhr, Sa. 10–15 Uhr

Der Pop von morgen, so scheint es, hängt, als kryptische Blaupause auf weiße Stoffbahnen gedruckt, von der Decke des Galerie-Außenpostens der Hochschule der Künste. „Media & Interface“ bei DesignTransfer, radikal dekonstruiert von japanischen Studenten der Kunsthochschule Tama Kaminoge in Tokio. Wahrnehmen, Orientieren, Darstellen wird in ihren Design-Arbeiten völlig neu konstituiert. In einem – noch – wenig plausiblen Ausmaß wird die Begegnung Mensch–Natur über technische Geräte mediatisiert und totalisiert. Medien vermitteln nicht mehr nur Information, sondern werden selbst Information, Ressource, Welt. Änderungen und Bewegungen der Natur, der Bäume in einem Garten etwa, sollen in Laute umgewandelt werden. Die Entfremdung, die Technisierung der Naturerfahrung soll sie uns wiedergewinnen. Die Bäume machen Techno-Muzak, also sind sie. Das Problem, daß ich mich beim Sehen nicht sehen kann, entpuppt sich schon jetzt als historisches, denn mit Hilfe der Videokamera mit Tochterkamera schaue ich mir ständig über die eigene Schulter, und in real time beobachte ich mich beim Beobachten. Das Szenario einer Welt, die weitestgehend gerätvermittelt den fünf menschlichen Sinnen verfügbar sein soll, befremdet. Der Entwurf dieser in Stücken schon immer in Medien eingeformten Umwelt ist darüber hinaus brisant: Die Unbedingtheit und Unbekümmertheit, mit der hier mit alten Sichtweisen und Lesarten aufgeräumt wird, macht ohne weiteres die japanische Stärke in Zukunftstechnologie erklärlich.

Bis 6. November, Grolmanstraße 16, Mo.–Fr. 13–18 Uhr

Die trügerische Sicherheit alter Sichtweisen und Lesarten des Kunstbetriebs: „Bettina Allamoda 5 years. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog“, lautet der Titel von Bettina Allamodas Ausstellung, zu der ein Katalog erscheint. Dieser ist aber bitteschön nicht als solcher anzusehen, weil er dem Standardkatalog des Künstlerhauses Bethanien nicht entspricht. Dem entspricht wiederum das Plakat „Modern Classics“, herausgegeben zu Allamodas „Verkaufsausstellung“ von Kleinstformat-Mutanten, „Memorabilia“ moderner Klassiker, in Bethanien im September 92. Aber ein Plakat ist kein Katalog. Jedenfalls kein richtiger. Ein falscher aber auch nicht. Die komplexe Geschichte zur Geschichte der Künstlerrepräsentation der Moderne erarbeitet Bettina Allamoda in geradezu wahnwitzig simplen, minimalistischen Ausstellungs=/ Werkfolgen. Kunst, die durch die Verstrickung von Text und Verwaltung vertreten, aber nicht ersetzt werden kann, wie Harald Fricke (im Katalog!?) sagt, kommt in drei Vitrinen zur Darstellung. Zwei zeigen die Einladungskarten der Bethanien- Künstler. Kunst, Text und Verwaltung: Vorder- versus Kehrseite. Die letztere dokumentiert Namen der Künstler, Daten der Ausstellungen von 88 bis 92 und die Corporate Identity von Bethanien. Schließlich politische Geschichte in Wechselrahmen, die sonst Schreibtisch und Kommode zieren: Christian Klar, Hans-Martin Schleyer und die Künstlerin, die jüngste Vergangenheit vergegenwärtigt. Darf man sich solcherart erinnern? In welcher Weise erinnert sich wer, verbucht, katalogisiert wer was? „Christian, Hans-Martin und ich — Rasterfahndung“, Siebdruck auf Postkarten, 1992, in der dritten Vitrine: zur Ausstellung kommt eine Arbeit von Allamoda. Brigitte Werneburg

Bis 1. November, Mariannenplatz 2, Di.–So. 14–19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen