Wand und Boden: Rhetorische Antwort
■ Kunst in Berlin jetzt: Die ganze Mauer, Teil III; Pendant perdu? – Selbst-Bildnisse von Frauen; Udo Wid; Heike Vogler
Dieser Wachturm, sagen sie, sei der letzte gänzlich erhaltene am ursprünglichen Ort. Aber ein Denkmal seiner selbst ist er doch nicht mehr, mit (schon nicht mehr ganz) neuem Linoleum im Eingang, tiefrotem Anstrich der Holzteile und der Umnutzung des ersten Stocks, eines fensterlosen Raums, als „Museum verbotener Kunst“. Oben, eine steile Treppe höher, kann man sehen, was damals zu sehen war. Rundumblick. Aber auch der hat sich verändert. Eine Baustelle ist der ehemalige Mauerstreifen in Treptow, gerade jenseits von SO 36.
Den Blick aus den Wachtürmen rund um West-Berlin haben die DDR-Grenzer komplett dokumentiert, und diese Dokumentation, über tausend Fotografien in einem leicht gestreckten Format und die dazugehörigen Positionskarten, sind aus dem Müll gerettet worden und in den Besitz jener jungen Leute geraten, die den Treptower Wachturm betreiben. Dort wird jetzt der dritte Teil der Fotografien gezeigt, die gesamte Grenze zu Kreuzberg einschließlich des Potsdamer Platzes. Die fotografischen Kopien der angeblich ebenso dürftigen fotografischen Originale sind schon erschreckend: Das ehrgeizige Doku-Projekt der Grenzer war offenbar ein Gesamtkunstwerk in der Hand von Dilettanten. Silbrig grau sind die Bilder, mit Lichteinfall (undichte Kameras? Negativentwicklung vor Ort?) und unangenehm verwaschenen Schwärzen. Die Mauer von innen gesehen; zwei Mauern waren es ja, weiß-gräulich, ortlos. Immerhin gibt es bei den Fotografierenden einen Sinn dafür, daß man eine Mauer in der Flucht schwerlich formschön dokumentieren kann. Man sorgt für den Aufbau der Bilder, indem man die Kurven und Ecken in Szene setzt. Am Potsdamer Platz ist die Mauer zum Westen hin in gleichen Segmenten weiß gestrichen, wie eine Folge von Rahmen, auf denen die Darstellung (Tafelbild oder Kinobild) nicht erscheint – nicht erschien. Am Checkpoint Charlie kann man sehen, wo der Wachturm ursprünglich stand; das Exemplar des Museums, das die Touristen dort täglich bewundern, ist ja denkmalgeschichtlich eine glatte Fälschung.
Museum für Verbotene Kunst, Wachturm im „Niemandsland“ zwischen U-Bahnhof Schlesisches Tor und S-Bahnhof Treptower Park. Öffnungszeiten nicht bekannt.
Zuletzt ist die Ziffer handschriftlich verbessert worden, nicht 54 Berliner Künstlerinnen zeigen „Selbst-Bildnisse“, sondern 57, offenbar eine Wachstumsbranche. Geplant sind Ausstellungen im Domizil (Kunstdienst der Evangelischen Kirche im Berliner Dom), in der Galerie im Parkhaus Treptow, in der Hochschule der Künste (Foyer) und in der Petrus-Kirche in Steglitz. Wenn man sich die zuerst eröffnete Ausstellung der Reihe im Kunstservice Berlin & Galerie Dr. Christiane Müller ansieht, kommen allerdings üble Ahnungen auf für das Großprojekt im zur Neige gehenden Sommerloch, dessen „Schirmherrschaft“ bei Dr. Christine Bergmann, Bürgermeisterin von Berlin und Senatorin für Arbeit und Frauen, liegt: Völlig durchschnittliche Galerienkunst der gefälligen Sorte, handwerklich mal besser, mal schlechter. Die Ausstellung könnte genausogut „Sommergäste“ oder „Fragment und Erinnerung“ heißen.
Die beste Idee schien mir, einen vierspurigen Fußabtreter als „Junger Mann mit Kinderwagen“ auszustellen, aber der Vergleich der Arbeit, die dann wohl doch keine war, mit der Angabe der Materialien auf dem darüberhängenden Schild ging negativ aus.
Pendant perdu?, Selbst-Bildnisse Berliner Künstlerinnen. Rosenthaler Straße13, Mitte. Die Ausstellung im Domizil beginnt heute, die anderen eröffnen: Galerie im Parkhaus, Puschkinallee5, am 21.8., 19Uhr; HdK, Hardenbergstraße33, am 10.9., 19Uhr; Petrus-Kirche, Oberhofer Platz, am 29.9., 19Uhr; jeweils mit Lesungen, Performances etc.
In der Galerie Unwahr geht Udo Wid der Frage nach: „Hat das Wurzelrauschen einen seltsamen Attraktor?“ Zu diesem Zweck ist eine gigantische Mohrrübe in einer Art Reagenzglas aufgebaut, etliche Maschinen angeschlossen wie auf einer Intensivstation. Das Ensemble, am Boden aufgebaut, ist von einem Blechoval umschlossen und sieht ziemlich strange aus. Was die Wurzeln an Strömen senden, wird als Simultandiagramm per Laser geschwind an die Wand geschrieben; und für die Ewigkeit auf Millimeterpapier festgehalten. Die rhetorische Frage wird rhetorisch beantwortet.
Kleine Hamburger Straße16, Di–So, angeblich ab 16Uhr (Vorsicht!) bis 19Uhr
Von sämtlichen Galerien der Stadt ist vielleicht Andreas Seltzers Bilderdienst die profilierteste: Kaum eine Ausstellung gleicht der anderen, Entdeckung hat Vorrang vor Routine, und die Präsentation ist zwar nie aufwendig, aber immer präzise und entschieden.
Diesmal ist die Kunst in dem kleinen Ladenraum in der Pariser Straße51, knapp westlich der Uhlandstraße, zum Schau-Fenster hin aufgebaut, der Raum entwickelt die Tiefe eines Bühnenbilds. Auf vier hintereinander gruppierten Blechregalen stehen in eigentümlicher Anordnung insgesamt zehn Leuchtkästen. Sie zeigen teils banale Motive, wie ein Glas mit Sardinen, teils komplexere, etwa eine zu einem festen gelben Ring aufgewickelte grellgelbe Wäscheleine, die auf einem Teppich mit Tiermotiven steht (der sehr sanft und vertraut aussieht).
Erst auf den zweiten Blick nimmt man wahr, daß die Bilder in Bewegung sind; beziehungsweise das Licht in den Schaukästen: Der Petersilie sieht man die Kraft in die Blätter schießen, auf dem Rand eines mit Spaghetti gefüllten Teesiebs bewegt sich etwas, wie eine zum Kreis geschlossene Raupe. Bei einigen der Motive ist der Schattenfluß oder das spiralartige Flimmern, das aus dem Inneren des Leuchtkastens kommt, nicht ganz so suggestiv, wie man es sich wünscht. Das Ganze bewegt sich zwischen Fünfziger-Jahre-Spießerkunst und Haim Steinbachscher Coolness; die gepflegte Randständigkeit der Arbeiten, die Seltzer zeigt, ist ja gerade das Betörende. Ein Bezug zu den großen Freuden kleiner Leute bleibt irgendwie immer gewahrt. Was nicht heißen soll, daß der „Bilderdienst“ die Massen zieht. Er ist konzeptuell, als Institution, geradezu unverschämt elitär.
Das Ensemble von Heike Vogler sieht übrigens auch von hinten gut aus, silbrig-banal, das changierende Kunstlicht auf den metallenen Oberflächen in Konkurrenz zum Tageslicht der Straße, das gegen sieben verwegen zu leuchten beginnt, dieser Tage.
Heike Vogler, Fließgrafik. Bis zum 25.8., Mo.–Fr. 16–19Uhr, Sa 10–14Uhr. Es gibt einen raffinierten Einladungsleporello nach einer Grafik von Marey.
Ulf Erdmann Ziegler
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