Wand und Boden: Popsoziologie des geteilten Berlin
■ Kunst in Berlin jetzt: Ackermann, Hall, Boltanski
Dem Ortsunkundigen zeigt sich die Stadt gerade mal als Grauzone um Bahnhof, Marktplatz und Fußgängerzone, und so möchte man arg darüber wundern, wie es mancherlei Künstler fertigbringen, bei Zwischenstopps in Antwerpen oder anderswo in situ zu arbeiten. Entsprechend ähneln die meisten der erkundeten Hinterhöfe nach dem Eingriff einer Vitrine im Museum. Auch aus der Skepsis gegenüber dem investigativen Artefakt können, wie bei Franz Ackermann, wieder Bilder entstehen: Kommentare zur relativen Unwägbarkeit aller Topographie. Seine vier großformatig bedruckten Blaupausen zeigen eilig dahinrauschende Stadtansichten Berlins – exakt wie die Baustudien der Spätromantik, ohne aber etwas vom Ort zu vermitteln. Ackermann hat beliebige Architekturmodelle aus der Jahrhunderte währenden Stadtplanung auf Gleichmaß gebracht und mit einem gründerzeitlichen Ornament verbunden. Die derart verzahnten Plätze bilden Serien ohne jeden einenden Stil ab: Schinkel, Bauhaus, Neue Wache, dahinter Plattenbau. Kontextlose Reihungen einer Stadt, deren historische Entwicklung nicht mehr an der Architektur abzulesen ist, wie das Alter mancher Bäume etwa an der Wohlgeordnetheit ihrer Ringe. Die Zukunftsmodelle schlagen in jene „komplexe Leere“ der Form um, als die Paul Valéry das Ornament charakterisierte. Zuletzt interveniert der Künstler: In der Mitte der Galerie hat Ackermann einen sockelförmigen Glaskasten als Info-Boutique aufgebaut, der mit farbigen Taschentüchern gefüllt ist. Sie sind mit dem aktuellen Falkplan Berlins bedruckt. Wer will, kann sich bedienen und mit dem Souvenir auf den Weg durch die reale Stadt machen.
Condomium, bis 30.7., Di-Sa 11-18 Uhr, Goethestraße 73, Charlottenburg.
Doug Hall hat sich bei seinen Erkundungen zielstrebig in die gebaute Geschichte der DDR gewagt: Auf 60 Fotografien dokumentiert er die eingefrorene Ordnung ehemaliger Parteihäuser der SED. Wieder ist es Walter Benjamin, der Hall auf seinen Streifzügen durch Staatsratsgebäude, ZK-Sitz, Grenzkontrollstation und Palast der Republik mit einem Zitat zur Seite steht: „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten.“ Und weil die schönsten Bilder ausdruckslos sind, häufen sich bei Hall die immergleichen Sichten in bleich ausgeleuchtete Säle und auf sanftgraue Parlamentarierbänke. Was der spurensuchende Amerikaner als „leere Überbleibsel des vergangenen Regimes“ deutet, entpuppt sich als Authentizitäts- Konstrukt der Nachwende-Dekorateure. Die Sauberkeit vor Ort ist die Signatur der allerletzten Reinemachefront, ein Leichenschmuck. Das verlassene Plenum im Zentralkomitee, die blankpolierten Kunstledersessel im Konferenzraum oder der matte Glanz auf dem Schreibtisch im Büro des Staatssekretärs sind keine Zeichen des schwebenden Stillstands – sie zeugen von der Trennung zwischen Bild und Geschichte. Die Gegenwart, aus der der Blick auf diese Dinge fällt, bleibt abwesend. Hall zeigt Tatorte, keine Bühnen. Andererseits will er der technischen Übereinkunft von Staats- und Fotoapparat nicht über den Weg trauen, deshalb versucht er einzugreifen und die Bilder zu erklären. Die Fotos werden begleitet von genauen Auflistungen der abgebildeten Ansichten, Chronologischem und noch mehr Zitaten. Wenn Hall einen Wachraum mit Frank Lloyd Wrights Satz „Architektur ist ein Ausdruck des Geistes von Gesetz und Ordnung“ untertitelt, verschwindet aus dem vagen Videobild der letzte Rest Erinnerung.
Das DDR-Projekt, bis 31.7., Di-So 14-18 Uhr, Kunst-Werke, Auguststraße 69, Mitte.
Nicht weniger leidenschaftslos, doch mit mehr Geschick fädelt Christian Boltanski Erinnerungen zwischen Ost und West auf. Er hat die gesammelten Jugendbilder zweier Teenager der siebziger Jahren in acht Vitrinen zusammengefügt: eine Art Popsoziologie des geteilten Berlin. Links im Durchgang des Podewil liegt das Inventar eines Mädchens aus der Konstanzer Straße aus, zu ihrer Rechten werden Bestände aus der Eberswalder Straße gezeigt. In beiden Fällen springt die Gutbürgerlichkeit ins Auge, und man kann sich querschnitthaft durch Mädchenwünsche wühlen, die einander immer ähneln – zumindest hat Boltanski sie so ausgelegt und angeordnet. Vom sozialistischen Sandmann über das erste Poesiealbum bis zur Jugendweihe – die Verzahnung der gesellschaftlichen Pflichten mit dem individuellen Glücksversprechen innerhalb der Familie mag verblüffen (am schönsten findet sich das alles auf einem bunt bedruckten Tuch mit hell lachender Sonne, auf der die gesamten Freunde-Kameraden-Genossen sich eingetragen haben). Im Westen sieht die Truhe indes nicht anders aus: eine Pfadfinderinnentracht, der erste Schwimmpaß, Sportabzeichen – auch hier ist das jugendliche Leben im Verein am schönsten. Und umgekehrt dividiert sich das später zu gleichen Teilen auch wieder auseinander. Nach der Barbie-Phase kommen Poster, Platten, Liebesbriefe und schließlich die Interrail-Reise mit dem bärtigen Freund, im Osten malt sich die andere einen Merker für die fruchtbaren Tage vor der Regel und sammelt kleine Starporträts von Depeche Mode. Dann war die Jugend plötzlich vorbei. Im hübsch himmelblau gemusterten Gästebuch aus DDR- Beständen haben sich Besucher über die Oberflächlichkeit beschwert, mit der Boltanski durch das Leben der Mädchen läuft und Dinge aufschnappt, deren Prägung vielleicht tief noch im Herzen verankert ist. Das aber hieße den Spurensucher, der mehr ein Sicherer ist, mißzuverstehen: „Was mich interessiert: Es gibt so etwas wie eine Autobiographie gar nicht“, verwehrt Boltanski sich im Katalog gegen die individuellen Mythologien von einst. Ein wenig verwundert der Sinneswandel schon. Während Boltanski im Rahmen der Ausstellung „Die Endlichkeit der Freiheit“ mit Fotos an einer Brandmauer an der Aura vergangener Lebenszusammenhänge laborierte, ist sein Blick jetzt aufs individuelle Allgemeine gerichtet: en passant eben, wie es der von Dr. Michael Glasmaier zugrundegelegte Rahmen vorgibt.
„en passant 3 – Du und Deine Welt“, bis 30.7., Mo-Fr 8-22 Uhr, Klosterstraße 68-70, Mitte. Harald Fricke
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