piwik no script img

Wand und BodenMuseumsgrüße aus Gladbeck

■ Kunst in Berlin jetzt: Regina Schmeken, Jürgen Goertz, Milan Knizak, Stefan Hirsig

Der Ausstellungstitel „Geschlossene Gesellschaft“ kann sich eigentlich nur auf eine Arbeit Regina Schmekens in der Fotogalerie des Deutschen Historischen Museums beziehen. „Festakt 100 Jahre Allianz“ 1990 zeigt den Old Boys Club in Reinkultur. Nichts stört das gleichförmige Muster, das die dunklen Anzüge, die weißen Krägen, der dunkle Strich der Krawatten und die aufmerksam gereckten Köpfe bilden. Das wird – so sieht es aus – noch leicht weitere 100 Jahre so bleiben. Ansonsten macht der Titel weniger Sinn. Denn Schmekens Bilder zeigen die deutsche Gesellschaft zwischen 1989 und 1993 im Umbruch, und die kann es sich im Gegensatz zur Allianz eben nicht leisten, unter sich zu bleiben. Am Anfang steht das Foto eines abgeschlagenen Hitlerkopfes inmitten von Bruchsteinen. Verblüfft und in Erinnerung all der gestürzten Lenins, fragt man sich, wann war denn das? Aber es ist nur ein Museumsarrangement in Gladbeck. Auch Auschwitz ist heute eine museale Gedenkstätte, wie im folgenden Bild zu sehen ist, wo sich Schuhberg und Besucherin im Vitrinenglas spiegeln. Schmekens Bildmotive scheinen einem ubiquitären Schwarz entwachsen, grobem Korn und harten Kontrasten. Das tiefe Schwarz umrahmt (gleich mehrfach) das helle Bildzentrum, wie im Falle des Karl- Marx-Bildes in der zerbrochenen Fensterscheibe im Scheunenviertel; oder es sitzt gleich im Bildzentrum, dunkel geballt wie im ausgeschlachteten Trabbi „Bei Leipzig“, der verlassen in der glänzenden Helle eines weiten leeren Feldes steht. Schwärze als Strukturelement ihrer Fotografie hat Regina Schmeken aus der Zeit ihrer freien Arbeiten in ihre Arbeit als Pressefotografin bei der Süddeutschen Zeitung hinübergerettet. Der dokumentarische Auftrag, dem sie verpflichtet ist, hat ihrem Hang zur Ästhetisierung Grenzen gesetzt, was exakt ihrer Fotoästhetik zugute kommt. Dokumentiert hat sie das heruntergekommene Scheunenviertel, in dem die Berliner Juden einmal lebten, den Mauerfall, Solingen, Asylbewerber und Bundesverfassungsgericht, Gorbatschow und Willy Brandt, eindrucksvoll und schön, sechs Tage vor seinem Tod.

Bis 27. September, tägl. 10–18 Uhr, Unter den Linden 2, Mitte.

Der Platz vor dem Reichstag, auf Schmekens Bildern noch mit Pressefotografen und Polizei bevölkert, ist inzwischen mit Skulpturen von Jürgen Goertz geschmückt. „Cow-Riosity“ heißt eine Plastik, und das soll wohl so was wie Kuh-Neugierde bedeuten. In Anlehnung an Titanic aber denkt man eher: Rinderwahnsinn jetzt auch bei Künstlern? Die Kuh hat einen hübschen Kopf mit bunten Augen und steht auf einer überdimensionierten Stahlmilchkanne, die wie eine Raketenabschußrampe aussieht. „Chariot Montreal 1989“ zeigt ein königliches Paar auf einem stahlblanken Gefährt, das drei Pferdebüsten trägt: manieristisch collagiert aus sadopoetisch geformten Pferde- und Menschenköpfen sowie vorgefundenen Eisenstanzteilen; ein Hufeisen bildet eine Pferdeaugenhöhle, eine alte Türangel ziert den Rücken der Königin. 1991–93 wird Goertz reduzierter, eleganter, er betont den warmen Tonwert des Eisens und zerdehnt die Körper noch surrealer, die bunten Augen bleiben. Die Reichtagsbesucher mögen die älteren Plastiken deutlich lieber – vor allem als Fotomotiv. Das Mahnmal für die von den Nazis umgebrachten Reichtagsabgeordneten dagegen studieren sie eingehend.

Milan Knizaks „Liebliches Trauma“ im Innern des Hohen Hauses muß man nicht unbedingt gesehen haben. Weshalb aber seine goldfarbenen Kombi-Tiere (Stier mit Hahnenkopf, Robbe mit Schweinskopf, Löwe mit Schlangenleib etc.) derart lieblos auf einem rohen Tapeziertisch abgeladen wurden, bleibt die Frage. Ebenso warum seine neongrellen Assemblagen so blödsinnig an die schmalen Wandstreifen unter die umlaufende Galerie des Foyers gezwängt wurden, auf der die wahrhaft traumatischen Bilder zu sehen sind, in denen Adolf Frankl seine Lagerzeit in Auschwitz aufarbeitete. Unten also „Durchgriff einiger Landschaften“, 1993, Hose, T-Shirt, gestreifter Stoff und Sicherheitsnadeln auf Leinwand. Eine große gelblich-durchscheinende Plastikfliege ist auf „Flügel mit Eis“, 1993, gelandet, ein Rolls-Royce-Relief wurde mit Silberfarbe übermalt und eine pornografische Wichsvorlage eingeklebt. Skelette haben pinkfarbene Fingernägel.

Bis 31. August, tägl. 10–17 Uhr, Mitte.

Es gibt Galeristen in Berlin. Vielleicht sollten sich die Kunstverantwortlichen des Reichstags bei ihnen umsehen. Bruno Brunnet veranstaltet die erste Einzelausstellung von Stefan Hirsig. Der Meisterschülerabsolvent malt mittelgroße Tafelbilder. Prominente Farben sind kräftiges Lila, Rosa, Braun und Schwarz, wobei das Schwarz zumeist in der schablonenhaft wirkenden Form eines Siebziger-Jahre-Tisch- und Deckenstrahlers in Erscheinung tritt, und zwar als durchgängiges Motiv in allen Bildern. Das bietet dem Betrachter erst mal Halt, bevor er sich weiter ins dichte Spielfeld von Farbe und Struktur begibt. Nicht ohne Grund bezeichnet der Künstler seine jüngsten Arbeiten als „Pinball-“, also Flipper-Serie. „Suppe“ kommt einem ruppig entgegen, psychedelisch angedreht, eine rote Farbfläche ist mit weißen Fliegenpilztupfen besät, die braune Farbe eines baumartigen Elements verläuft in rhizomatisches Liniengewirr. In anderen Bildern ergeben die Farbüberlagerungen Rasterquadrate, die Formenwelt des Comic läuft unterschwellig mit. Hirsigs Bilder haben ein sehr heutiges, urbanes, elektrisches Flair; das Geflimmer der digitalen Bildmedien scheint untergründig mitzupulsieren, im „up side down“ seiner Bildproduktion. Aber die Malerei, gibt Hirsig deutlich zu erkennen, kommt erst jenseits der Vexierspiele zu ihrem „jackpot shot“, wie ein weiterer Bildtitel treffend vermerkt.

Bis 24.9.; Mo.–Fr. 10–18.30, Sa. 10–14 Uhr; Wilmersdorfer Straße 60/61, Charlottenburg. Brigitte Werneburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen