Wand und Boden: Kunstgewerbliche Schönheit zarter Gummischläuche
■ Kunst in Berlin jetzt: Vincent Trasov, Christian Lapie, Yoshiko Shimada und Hans Hemmert
Horst Wessel Platz, SS-Kameradschaft-Siedlung, Dietrich Eckart Straße, Hitlerpromenade, Führerplatz, Adolf Hitler Park, Braunauer Straße, Kameradenweg, Alfred Rosenberg Straße, sind einige der „Berliner Straßennamen im Dritten Reich“, die der kanadische Künstler Vincent Trasov in roter, weißer und schwarzer Typografie als große Tafel im Flur des zweiten Stocks im Bethanien an die Wand gehängt hat. Eine Kapitulationsgeschichte: Straßenumbenennungen.
Im Studio II eine andere: Die Unterzeichnung der Urkunde durch eine Delegation unter Generaloberst Jodl in der Nacht des 7. Mai 1945 im Kartensaal einer Realschule in Reims. Dort wollte auch Christian Lapie 1994 seine Ausstellung „Salle de Reddition – Wargame“ zeigen. Doch es kam anders. 1993 lobte Günter Metken das Vorhaben in der Süddeutschen Zeitung. Die Witwe Jodls, der im Anschluß an die Nürnberger Prozesse 1946 als Kriegsverbrecher gehängt worden war, las den Artikel, schrieb um den Ruf ihres Mannes besorgt (?) an den Präsidenten – und das vorfinanzierte und von der Stadt Reims abgesegnete Projekt wurde gestoppt. Warum der Brief der alten Dame im Elysee-Palast eine so prompte Wirkung erzielte, ist bis heute nicht klar.
Nun stehen je zwölf giftgrüne Stühle, in zwei Blocks geordnet, vor einem erhöhten Tisch, der wie einer dieser neumodisch-schlichten Altäre aussieht, hinter denen sich die Priester leutselig ans Volk wenden. Darüber ist ein weißes, goldbesticktes Altartuch gebreitet. Aber die aufgeträufelten goldenen Linien malen die Umrisse von Pistolen, etwa einer Luger, nach. Plastikrosen liegen neben einem kleinen Bilderrahmen auf dem Tisch, in dem eine Postkarte steckt, die den echten Tisch zeigt, mit einem großen Gemälde der Kapitulationsunterzeichnung, das als Bild im Bild im Bild natürlich winzig ist. Läßt sich sagen, daß Lapies Werk „den Geist dieses Ortes aktualisiert (...), indem es einerseits das Grauen und die Lächerlichkeit eines Krieges berücksichtigt, gleichzeitig aber die Zustimmung zur Entwicklung Deutschlands nach der Wiedervereinigung und seine Integration in das im Aufbau befindliche Europa ausdrückt“? In so unnachahmlicher Sprache beschrieb die Bürokratie von Reims ihre Hoffnungen auf das Kunstwerk als Stilleben mit Kapitulation. – Soweit zu beurteilen, scheint das ursprüngliche Projekt, das im aufwendigen Katalog versiegelt ist, stärker als die Berliner Variante.
Ein anderer Kriegsverlierer, Japan, kümmert die Zustimmung zu seiner Nachkriegsentwicklung weniger. Japanische Kriegsverbrechen kennt Japan prinzipiell erst einmal nicht. Auch als 1991 die ehemaligen „comfort women“ und „troostmeisjes“ – unterstützt durch die koreanische Frauenbewegung – öffentlich gegen das japanische Militär aussagten, winkte man ab. 1993 mußte die japanische Regierung schließlich eingestehen, daß ihr Militär junge Frauen und Mädchen aus den besetzten Ländern und den holländischen Kolonien systematisch für die Frontbordelle zwangsrekrutiert hatte.
Die japanische Künstlerin Yoshiko Shimada machte diesen Skandal zum Thema ihrer aktuellen Arbeit. Im Studio III läuft eine Bildergalerie entlang den Wänden mit den Porträts junger Mädchen, Mutter-Kind-Ikonen aus dem Nazi-Lebensborn-Kontext und Detailaufnahmen der Augenpartie alter Frauen. Zwischen zwei Säulen im Raum steht ein halbdurchlässiger Spiegel. In ihm spiegelt sich ein weißes Kleid, in Asien Symbol der Trauer. Hinter den Säulen hängt ein verfleckter Kimono, mit aufgenähten roten Stoffbahnen, wie Laubblätter liegen Präservative verstreut am Boden. Dreht man sich um, so sieht man durch den Spiegel auf das lange weiße Kleid. An der Stirnwand hinter dem Kimono hat Shimada ein rechteckiges, weißes Farbfeld aus 600 Präservativen aufgebracht: „a month work (20 soldiers x 30 days = 600)“ ist der Titel. Damit bringt sie ihr Thema am Ende auf seinen Punkt. Die kunstgewerbliche Schönheit der zarten Gummischläuche steigert die Beunruhigung und bringt die Unsichtbaren gedanklich ins Spiel, die noch einmal genau zu befragen wären: Die Armee und ihre angebliche Ehre, die Täter und deren perverses Bild der eigenen Sexualität.
Bis 11. bzw. 4. 6., Di-So 14-19 Uhr, Mariannenplatz 2, Kreuzberg
Tröstlich zu erfahren, daß Männer mit Gummi auch anders umgehen. Hans Hemmert hat in der Galerie Gebauer u. Günther einen großen weißen Latexballon aufgeblasen, der nun raumfüllend aus allen Tür- und Fensteröffnungen dringt, den Zutritt verwehrend. Vom Gang aus hineinschauen kann man aber schon. Und da sieht man durch das durchscheinende Material das Fensterkreuz im Raum schweben. Es ist in der Rundung des Ballons optisch leicht verzerrt, und man meint in dem bravourösen Ballonakt auch ein Bildzitat der Kunst des Manierismus zu entdecken. An der Garderobe im Gang hängt die Auflagen-Edition in Form von drei weißen Herrenhemden. Ihre linke Manschette zieren die Worte, „Das mach' ich doch mit links“. Kunst, die immerhin im rechten Moment die Moral stärkt! Ein merkwürdiges Schillern zwischen Kalauer und souveränem künstlerischem Eingriff in den Raum und unsere Wahrnehmung kennzeichnet überhaupt die Ausstellung. Bevor man etwa in das kleine Zimmer tritt, das Hemmert mit einer Art Alice-in-Wonderland-Trick aus den Fugen bringt, indem er die weißen Fußleisten wohl um das mindest Fünfzigfache vergrößert, kann man sich über einer Wand von Planzeichnungen und Cartoons verlustieren, die mit einigen witzigen Aha-Erlebnissen aufwarten. Das Sloterdjiksche Uterus-Auto macht Hemmert jedenfalls mit links.
Bis 22.7., Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr, Torstraße 220, Mitte Brigitte Werneburg
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