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Wand und BodenHistorie statt Latex und Leder

■ Kunst in Berlin jetzt: Balt-Orient-Express, Dieter Matthes, Farrell und Parkin

Unbeabsichtigt wurde das Kunstprojekt, das jetzt in der ifa- Galerie präsentiert wird, noch nostalgisch. Es gab einmal einen Zug, den „Balt Orient Express“, der in 30 Stunden die 1.700 km lange Strecke von Bukarest nach Berlin fuhr. Er verband, ohne daß sie sich dessen unbedingt bewußt waren, natürlich auch die Künstler, die in den Hauptstädten entlang dieser Strecke leben und arbeiten. Das brachte den rumänischen Konzept-Künstler und Schnapsbrenner Dan Mihaltianu auf die reizvolle Idee, den Zug als Medium für die Ausstellungs- Kollaboration von dreizehn Künstlern zu nutzen. Die Künstler besuchten sich also gegenseitig, wobei ihr Verkehrsmittel auch die künstlerische Arbeit motivierte. Aber während sie noch arbeiteten und reisten, wurde der Zug am 22. 9. 1995 eingestellt.

Die Arbeit von Judit Angel aus Arad scheint diese Tatsache noch am meisten mit zu reflektieren. Ihre „CFR-Box“ mit Fahrscheinen der „Chemins de Fer Roumains“ ist als „Aufbewahrort für virtuelle Begegnungen“ gedacht. Man nimmt sich eine Fahrkarte für die Route, inklusive kleinerer Abstecher, und soll sich dann vom Beobachter des Kunstwerks in einen Reisenden in der Phantasie verwandeln. Vielleicht ist dabei Dan Mihaltianus Balt-Orient- Schnaps aus Früchten, die er in Bukarest, Budapest, Wien, Bratislava, Prag und Berlin gesammelt hat, hilfreich. Zusammen mit einer Sammlung landesüblicher Alkoholika hat er den Schnaps in einer freistehenden Duschkabine aufgebaut, die auch eine kleine Destillationsanlage beherbergt.

Karen Kipphoff (Berlin) sieht Reisen weniger mit Trinken als Fernsehen assoziiert. Videomonitore in Koffern, Reisentaschen, Schlafmatten und rollenden Einkaufstaschen liefern die Bilder der „Blauen Berge“, denen die Sehnsucht der Reisenden gilt. Daß die Filme die bereits geschlagenen, bekannten Schneisen der Auto- und Bahnrouten dokumentieren, ändert wenig daran, daß das Reisen eine irgendwie unwirkliche Angelegenheit ist. Teodor Graur hält mit seinem fotografischen Selbstporträt dagegen, das ihn mit verschiedenen Schaffnern und verschiedenen Künstlern zeigt. Und Franz John versucht es mit dem authentischen Abdruck, den sein Handscanner vom konkreten Umfeld, in dem sich der Reisende bewegte, gewann. Am Ende ist dieser Authentizitätsgewinn natürlich wiederum nur das Ergebnis eines technisch-medialen Verfahrens.

Bis 14. 7., Di.–So. 14–19 Uhr, Friedrichstraße 103.

Die Differenz zwischen Teletourismus und Realtourismus ist im übrigen so sehr das Produkt der Massenmedien, daß es vor allem sie selbst sind, die von diesem Unterschied zu profitieren hoffen. Das fällt jedenfalls anhand der unterschiedlichen Bilder von zwei Stränden lokaler Größe auf. Da man beim derzeitigen Wetter der Serie „Bay-Watch“ einiges abgewinnen kann, scheint ein Vergleich reizvoll. Doch leider, der „Klassenlose Lido – Das Freibad Wannsee“, die Fotoreportage von Dieter Matthes in der Urania, drängt zu sehr auf den Unterschied. Da die Menschen im Fernsehen immer schön sind, müssen sie in der Realität immer häßlich sein. Am Wannsee sind sie vor allem fett. So fett und so gehäuft fett, daß es zu denken gibt. Vielleicht ist es der besorgte, ehemalige Arzt, den dieser Blick verrät. Doch wahrscheinlicher ist es der vom Autodidakten zum professionellen Geo-, Stern-, Zeit- und FAZ-Magazin-Fotografen avancierte Journalist, der so selektiv sieht und ein buntes Leben ins sepiabraun getönte Dokument stilisiert. Womit das Milljöh am Wannsee ebenso zeitlos gültig zuschlägt, wie Hollywood am Malibu Beach. Was allerdings im Falle Hollywoods viel naheliegender ist als im Falle des homo berolinensis, der sich von Zille bis heute treu geblieben sein soll. Aber so betrachtet, fällt dann der berühmte Unterschied, der Authentizität genannt wird, flach.

Bis 7. 6., Mo.–Fr. 14.30–20.15 Uhr, An der Urania 17

Das australische Künstlerpaar Rose Farrell und George Parkin setzt dagegen in der Brotfabrik gleich auf eine durch und durch konstruierte Realität. Wobei hinter den Szenen ihrer Fotografien langjährige Recherchen stehen, etwa zur Geschichte der Medizin und ihrer technischen Apparaturen, oder zur Praxis, Verbände anzulegen. Auf einer Reihe kleinformatiger Triptychen sind dann sorgsam umwickelte Menschen zu sehen, die wie Statuen in einem Barockgarten wirken. Um so mehr, als die weiß bandagierten Gestalten vor einen Hintergrund historischer Bildzitate plaziert sind, deren Hintergrund wiederum den Raum der Landschaft eröffnet. Im Vordergrund sieht man dafür den gefesselten Prometheus, dem der Vogel die Leber raushackt und ähnliches mehr. Dem Eindruck sexual-fetischistischer Rituale ist dies dienlich. Leichtfertig ließe sich sagen: Historie statt Latex und Leder.

Auch die großformatigen, schwelgerisch-schwülstig inszenierten Diptychen des „Dark Room“ zeigen gequälte Menschen. Doch festgezurrt, aufgehängt und in Drahtkäfige gesteckt wurden sie zum Zwecke der Heilung.

Der „beruhigende Stuhl“, den Benjamin Rush 1810 zum Wohle der Patienten entwickelte, mahnt aber entgegen seinem Namen höchst beunruhigend an den elektrischen Stuhl. Wenn jedoch ein nackter Mann an einer Kopfbandage frei im – rein zeichnerisch entworfenen – Raum hängt, wird deutlich, daß ihre „Konstruktion des Raumes“, so der Titel der zehnteiligen Ausstellungsserie, in der Farrell/Parkin vertreten sind, vor allem Projektion ist, wie die Qual und die Heilung der inszenierten Körper.

Bis 7. 6., Mi.–So. 15–20 Uhr, Prenzlauer Promenade 3. Brigitte Werneburg

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