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Wand und BodenGefunden, erdacht

■ Kunst in Berlin jetzt: Niedermayr, Acconci, Peter

Die Berge sind groß und erhaben. Wie die sieben Zwerge rackern und ackern und turnen die winzigen Menschen auf ihnen herum.

Da gibt es keine grüne Alm, die nicht von diesen bunten Wesen übersät wäre, und keinen weißen Gletscher, den sie nicht erklommen hätten. Selbstverständlich nicht zu Fuß, sondern mit Hilfe von Straßen, Autos und Bussen, oder dank diverser Maschinenanlagen wie Sessellifts und Seilbahnen, wodurch die schroffe hochalpine Landschaft der Dolomiten ersichtlich zur Verkehrsschneise verkommen ist.

Kein schönes Bild. Doch in der neuen italienischen Landschaftsfotografie, wie sie der Südtiroler Walter Niedermayr durchexerziert, ergeben sich daraus großartige Fotografien. Eine erhebliche Gleichgültigkeit gegenüber dem emsigen Treiben, das die Bergwelt zuschanden macht, charakterisiert die ausgedehnten Panoramen und Tableaus, die Niedermayr aus seinen großformatigen Plattenabzügen in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst zusammengestellt hat.

Der Fotograf interessiert sich dabei mehr für die Brüche der Wahrnehmung als für die der technischen Eingriffe in die Natur. Medienreflexiv zeigt er innerhalb seiner Sequenzen das gleiche Einzelbild mehrmals, mal farbig, mal schwarzweiß und jeweils in minimaler Abweichung der Aufnahmeperspektive. Dazu stellt er sich als Betrachter hoch und fern über sein Motiv.

Die geradezu aberwitzige, fiese Übersichtlichkeit, die sich über „Die bleichen Berge“ des industrialisierten Freizeitparks ergibt, wird am Ende aber durch die noch höheren Bergketten am Horizont verklärt. Sie scheinen unberührt und ruhen majestätisch wie auf der Bildpostkarte. Der Himmel über ihnen ist immer blau. Die Welt ist schön. Ein letzter Versuch.

Bis 13. 10. tägl. 12 bis 18.30 Uhr, Oranienstraße 25

Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau, das scheint die Steigerung vom Schrecklichen zum noch Schrecklicheren zu sein. Wenn in Berlin erst einmal die bunten Baustellen abgeräumt sind, werden wir unser blaues Wunder erleben. Man möchte der Stadt und ihren Architekten schon vorsorglich Vito Acconci an den Hals wünschen. Er ist nicht die Pest, ganz im Gegenteil. Aber er ist, vor allem für Architekten, gefährlich. Das läßt sich in seiner Schau „Public Spaces“ bei Klosterfelde erkennen, anhand von fünf Modellen und einer Diaprojektion.

Acconci ist respektlos. Er setzt seine Vorschläge, seien sie randständig oder raumgreifend monumental, sehr entschieden in die Welt bedeutender Architektur. Neben einem eher banalen Entwurf für die Abflughalle des Flughafens von Philadelphia fallen bei Klosterfeld zwei Projekte auf. Eines in Liverpool und eines, das er im oder besser am Centro Galego de Arte Contempornea in Santiago de Compostella realisierte.

Für „House up a building“ (1996) benutzte Acconci ungeniert die Granitfassade des neuerrichteten Museums von Alvaro Siza, um an ihr eine überdachte Treppenkonstruktion aufzuhängen. Der superkühle Kubus wurde zum Spielplatz für die Kinder aus der Nachbarschaft. Eine Grenzverletzung und ein Kontrollverlust: Daß die Außenbegehung eines doch ziemlich heiligen Museumsbaus für die Kinder eine prägende Architekturerfahrung sein wird, läßt sich denken.

In Liverpool schlägt Acconci für das Mündung des Mersey eine romantische „Maschine zum Laufen und Sitzen“ vor, zu der einige Brücken gehören, die den Fluß überspannen, dessen Wasserhöhe von Ebbe und Flut beeinflußt wird. Die Brücken sind auf schwimmenden Pfeilern aufgestützt und verändern mit dem Wasserstand ihre Höhe und ihre Form. Ein Ausstellungstitel aus dem letzten Jahr übersetzt diese Nachgiebigkeit der Technik gegenüber dem Mond und seinen Gezeiten ziemlich genau: When tekkno turns to (the) sound of poetry.

Bis 14. 11., Mi.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstraße 160

Der Senatsstipendiat Lothar M. Peter hat die Beute seines dreimonatigen Aufenthalts nach Hause gebracht: „Gefunden oder Erdacht. Fotografien aus Istanbul“. An den Wänden der Galerie im Saalbau Neukölln bringt Peter seine Fotografien in Reihe, mit Vorliebe in der Form von Triptycha. „Heiliges Wasser“ ist eines betitelt, das im Mittelteil einen Fußwaschplatz der blauen Moschee zeigt, rechts und links flankiert vom Bild eines Wasserhahns an einer griechisch-orthodoxen Kirche.

„Epochen“ heißt ein anderes, in dessen Mitte die kopflosen Schaufensterpuppen eines Herrenbekleidungsgeschäfts auf der Istiklal Caddesi zu sehen sind, einer Fußgängerzone in Istanbul. Das linke Foto zeigt die Statue des ottomanischen Baumeisters Sinan, auf dem rechten Foto ist eine Statue Atatürks zu erkennen, die am Bosperus steht.

Man ahnt so ungefähr, auf was diese Zusammenstellungen hinaus wollen. Religion, Architektur und Wasser sind die Themen des Fotografen, seine Motive findet er eher auf Nebenschauplätzen und an den unbeachteten Ecken der berühmten Gebäude und Plätze. Es ist der Versuch dem Klischee zu entgehen, und er wirkt leider ziemlich angestrengt.

Seine Arbeit ist auch der Versuch, von der Straßenfotografie, der er eine Wand mit kleinen, sorgsam gerahmten Fotos widmet, zur einer menschenlosen, objektorientierten Konzeption zu gelangen, aber er geht schief. Die Fotoreihe der Kapitele des Waschplatzes an der blauen Moschee ist nicht zwingend, das fade Schwarzweiß macht aus dem Unterschied der Steine keineswegs eine aufregende ästhetische Angelegenheit.

Verlängert bis 13. 10., Mo.–-So. 12–18 Uhr, Karl-Marx-Straße 141

Brigitte Werneburg

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